3-5. Ein Überblick zu den Studien

Was bisher bekannt ist und was noch fehlt

Die Ausdauerstudie der Deutschen Sporthochschule Köln, die FINGER-Study und die Agewell-Studie der Uni Leipzig sind nicht die einzigen Studien, die Bewegung als Möglichkeit für demenzfreies Altern untersucht hat. Weltweit wurden auch zuvor schon Studien zum selben Thema durchgeführt. Die Ergebnisse sind übereinstimmend und ernüchternd zugleich:

Bewegung “kann helfen, das Demenzrisiko zu senken”, hat “abschwächende Tendenzen”, und ist “möglicherweise krankheitsverlangsamend“. Das Fazit, wonach die Krankheit allenfalls gebremst wird, könnte also ernüchternder nicht sein.


Weltweit 29 Studien ausgewertet

J. Eric Ahlskog, Professor an der Mayo Klinik in Rochester, Minnesota, wertete im Jahr 2011 die bis dahin 29 wichtigsten Untersuchungen aus. Titel der Metastudie: „Körperliche Bewegung als vorbeugende oder krankheitsmodifizierende Behandlung von Demenz und Gehirnalterung“. (Gesamttext der Metastudie: J. Eric Ahlskog).


Bei allen untersuchten Studien fanden sich bei den Teilnehmern keine Hinweise auf eine nachhaltige Wirksamkeit von regelmäßigem Ausdauertraining. Eigentlich nicht anders zu erwarten, weil das Gehirn stets außen vor blieb. Keine der von den Probanden geforderten Übungseinheiten war für das Gehirn anspruchsvoll. Von den möglichen Aktivitäten hat man ausgerechnet jene genommen, die das Gehirn am wenigsten stimulieren.

Alle Studien setzen auf stupide Ausdauerübungen

Natürlich, die beste Methode zur Stärkung des Herz-Kreislaufsystems ist unbestritten Ausdauertraining. Warum aber gelten lockere Ausdauerübungen als ideale Möglichkeit, das Gehirn im Alter gesund zu erhalten? Eine andere Möglichkeit wären Übungen, für die es in der englischen Sprache einen passenden Ausdruck gibt: „Brain-Exercise“. Übersetzt könnte man sagen, Gehirntraining durch koordinativ fordernde Bewegung und dieses bietet sich zweifellos eher als Ausdauertraining an, wenn es darum geht, geistige Gesundheit zu gewährleisten!

Zur Geschichte der Studien:

Vor mehr als dreißig Jahren konnte mit Hilfe der Nonnenstudie der Zusammenhang von eiweißhaltigen Ablagerungen im Gehirn und der Altersdemenz erschüttert werden. Deshalb galten damals die Lebensgewohnheiten der Nonnen als zuverlässiger Garant gegen die Demenz. Die nachfolgenden Studien zu diesem Thema setzten nicht mehr auf die Lebensweise der Menschen, sondern auf Bewegung, insbesondere auf lockeres Ausdauertraining.

Ausdauertraining war dann für die nächsten 20 Jahre die Norm für die Forschung, um den Nachweis zu liefern, dass Bewegung geistige Gesundheit erhalten kann. Der Nachweis ist bis heute ausgeblieben und die negative Entwicklung bei Alzheimer ist ungebrochen. Dass Ausdauertraining trotzdem bis heute als idealer Ansatz gegen die Demenz gilt, hat zur Folge, dass sich alle zu Unrecht auf der sicheren Seite wähnen, wenn sie ein paar mal die Woche ihre Laufstrecke absolvieren, gelegentlich Radfahren und jeden Tag den Hund ausführen.

Untersuchung einzelner Aktivitäten

Zusätzlich zu den Ausdauerstudien gibt es unzählige weitere, die jeweils eine Aktivität (Tanzen, Yoga, Musizieren, Tischtennis und andere mehr) untersucht haben. Alle haben sie ergeben, dass sie – eher als Ausdauertraining – für die geistige Fitness erkennbar etwas bewirken können. Allerdings, mit nur einer dieser Aktivitäten ist nichts gewonnen. Wie viel und wie vielseitig man sich bewegen muss, damit die Netze lückenlos und intakt bleiben, ist bisher nicht erforscht, die Antwort darauf wäre aber von enormer Bedeutung für Menschen mit ersten Anzeichen der Alterskrankheit. Es zu erforschen wäre den „Schweiß der Götter“ wert.

Sicher ist, wenn man das Fortschreiten verhindern will, braucht es einen bunten Strauß an gehirnfordernden Aktivitäten und eben solchen sportlichen Anstrengungen. Vieles ist bekannt, was noch aussteht ist eine Forschung mit Probanden, die bereit sind, gleich eine Vielzahl von komplex zu koordinierenden Aktivitäten regelmäßig auszuüben. Demenzvermeidung ist nicht von Dauer, wenn sie lediglich als Einzeldisziplin ausgeübt wird. Demenzvermeidung ist ein Zehnkampf.

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3-4. Agewell-Studie der Uni Leipzig


Multimodaler Ansatz

Die Finger-Studie hat in der Demenzforschung neue Maßstäbe gesetzt. Die Macher der Studie wählten einen „multimodalen Ansatz“ (gesünder ernähren, mehr bewegen, Gedächtnisübungen). Die Uni Leipzig orientierte sich in der 2018 begonnenen „Agewell-Studie“ daran und verpflichtete die Teilnehmer zu ebenso vielseitiger Intervention. Im Einzelnen wurde den Teilnehmern nicht weniger als sechs gesundheitsfördernde Maßnahmen aufgegeben:

Die Probandinnen und Probanden hatten, basierend auf Vorerkrankungen und Lebensstil-Faktoren, ein erhöhtes Risiko für eine spätere Demenz, aber noch keine ersten Anzeichen der Alterskrankheit. Es wurden gegenüber der Finger-Studie zusätzliche Komponenten des sozialen Lebensstils und Empfehlungen zu Über- und Untergebrauch von Medikamenten aufgenommen und die Teilnehmer zu sozialer Aktivität zu ermutigt, da ein aktiver Lebensstil auch im Alter vor Demenz schützen würde. Ebenso wurde von den jeweiligen Hausärzten den Studienteilnehmern bei Bedarf spezifische Empfehlungen zu deren Medikamenteneinnahme geben. Auf das Ergebnis der Studie konnte man gespannt sein.

2023 wurde das Ergebnis veröffentlicht und es zeigt, man kann etwas tun: „Gelänge es, die beeinflussbaren Risikofaktoren um 15 Prozent zu reduzieren, könnten nach den Modellrechnungen von den erwarteten zwei Millionen Krankheitsfällen im Jahr 2033 theoretisch 138 000 verzögert oder vermieden werden. Bei 30 Prozent wären es sogar 265 000 Fälle.“

Die Ergebnisse im Einzelnen:

Die Intervention umfasste die Optimierung von Ernährung und Medikation, sowie die Steigerung der körperlichen, sozialen und kognitiven Aktivität. Insgesamt wurde kein Effekt der Intervention auf die globale Kognition festgestellt, allerdings fand sich ein signifikant positiver Effekt bei Teilnehmenden mit geringer Bildung. In der gesamten Stichprobe verbesserte sich außerdem die soziale Kognition. Außerdem konnte ein positiver Effekt der Intervention auf die gesundheitliche Lebensqualität bei allen Teilnehmenden der Interventionsgruppe feststellen, bei Frauen konnte die Intervention zudem depressive Symptome reduzieren.

Volltext der Studienergebnisse: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6670136/

Kritik an der Agewell-Studie


Es bleibt dabei: die einzige wirksame Möglichkeit, um im Alter von 60 und mehr Jahren im Stadium beginnender Demenz (MCI) diese noch in Schach halten zu können, sind koordinativ anspruchsvolle Aktivitäten und regelmäßiger Sport. Diese Behauptung geht davon aus, dass neuronale Schaltkreise nur durch Bewegung gebildet, gestärkt und (falls geschädigt) erneuert werden können. Ausgeschlossen ist demnach, dass man die geschädigten Netze im Alter durch koordinativ anspruchslose Aktivitäten “reparieren” könnte.


Untermauert wird diese Behauptung damit, dass man ja auch in den Therapieräumen von Reha-Kliniken für Schlaganfallpatienten im wesentlichen nur Geräte und Stationen findet, die den Patienten koordinativ anspruchsvolle Aufgaben abverlangen. Da im Unterschied zum Schlaganfall bei der Demenz aber nicht einzelne Bereiche des Gehirns betroffen sind, sondern das gesamte neuronale Netz in Mitleidenschaft gezogen ist, ist es erforderlich, nicht eine oder zwei koordinativ anspruchsvolle Aktivitäten auszuüben, sondern eine Vielzahl davon. Je mehr, desto besser, weil mit jedem Bewegungsablauf ein anderer Bereich im neuronalen Netz aktiviert wird.


Wenn bei der Agewell-Studie neben all den allgemeinen gesundheitsfördernden Maßnahmen, die den Geist nur wenig fordern, nur zwei mal pro Woche 20 bis 30 Minuten Gleichgewichtstraining abverlangt wird, dann ist das zu wenig. Leider stellen die Menschen im Alter gerade jene sportlichen Aktivitäten ein, bei denen sie koordinativ herausgefordert werden. Diese betreiben sie von Jahr zu Jahr weniger und zuletzt sieht man sie, wenn überhaupt, nur (koordinativ anspruchslos) Walken, Radfahren oder Laufen im Park.


Wenn man sich von der Agewell-Studie erhoffte, dass alte Menschen, speziell wenn sie erste Anzeichen von Demenz verspüren, zu Tanzen, Gleichgewichtsübungen, Tischtennis und zu Koordinativsportarten animiert würden, wird man leider enttäuscht. Die Macher der Studie legten den Schwerpunkt auf gesundes Leben, das für geistige Gesundheit wichtig ist, aber im Alter als Ratschlag zu spät kommt, weil die neuronalen Schäden längst weit fortgeschritten sind.

3-3. Die FINGER-Study aus Helsinki

Die renommierte FINGER-Studie ist der Hoffnungsträger für die Demenzprävention und deren Ergebnisse werden allgemein als Empfehlungen ausgegeben, wie der Alterskrankheit beizukommen wäre. Die Studie, die eine Zusammenarbeit des Karolinska Institutet in Stockholm und des Finnish Institute for Health and Welfare in Helsinki ist, belegt erstmals, dass gesund leben, verbunden mit intensivem Sport und regelmäßigen Denkaufgaben dem geistigen Abbau entgegen wirken. Teilgenommen haben 1.260 ältere Menschen, sie waren zwischen 60 und 77 Jahre alt. Sie hatten zu Beginn der Studie ein leicht erhöhtes Demenzrisiko, waren in Kognitionstests eher “unterdurchschnittlich” und die Cholesterinwerte, Diabetes und Herzkrankheiten waren teilweise sogar ausgeprägt erhöht. Link zur Studie:

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(15)60461-5/abstract


Gesund leben und trainieren!

Bei dieser Studie zwischen 2009 und 2011 haben die Forscher erstmals einen multimodalen Ansatz zur Demenzprävention gewählt, bei dem sich die Teilnehmer verpflichteten, sich gesünder zu ernähren, sich mehr zu bewegen, auf die kardiovaskulären Risikofaktoren (Neigung zu Herzerkrankungen) zu achten und zuletzt auch noch Gedächtnisübungen zu machen.


“Mehr geht nicht”, könnte man sagen. Die Studienmacher haben ihre Probanden für zwei Jahre zu allem verpflichtet, was man bis dahin zur Demenzprophylaxe als wirksam erachtete. Und was die Studie besonders auszeichnet, es war eine sogenannte „randomisiert-kontrollierte Studie“ und nicht bloß eine epidemiologische (beobachtend) Untersuchung. Randomisiert ist ein Studie, bei der die Teilnehmer für eine bestimmte Zeit danach leben müssen, epidemiologisch ist eine Untersuchung, bei der sie im Prinzip nur befragt werden.

Wenn man die Studie liest und sich dabei die Frage stellt, welche Art der Bewegung von den Teilnehmern gefordert wurde, dann fällt, wie bei allen ähnlich gelagerten Studien, auf, dass das Fitness-Modul aus einem “individuell angepassten Training zur Stärkung der Muskulatur (ein- bis dreimal wöchentlich) sowie Ausdauerübungen im gemäßigten aeroben Bereich zwei- bis fünfmal pro Woche” bestand. Wiederum haben die Teilnehmer also “nur” ihre körperliche Fitness trainiert.

Was lässt sich nun aus diesem bisher einzigartigen Experiment schließen? Immerhin haben sich die kognitiven Leistungen “im Schnitt verbessert”. Die absoluten Veränderungen waren allerdings, wie nicht anders zu erwarten, recht gering und das erstaunlichste Ergebnis war, dass überhaupt messbare Unterschiede festgestellt wurden.

Erneut koordinativ anspruchsloser Ausdauersport!

Für die Frage der Demenzvermeidung im Alter hätte die Studie eine wichtige Unterscheidung treffen müssen: die Faktoren gesunde Ernährung, kognitives Training (Rätsel lösen etc.) und die Behandlung von vaskulären Risikofaktoren haben im Gehirn eine andere Wirkung als regelmäßige körperliche Betätigung. Während erstere „nur“ verhindern, dass das Gehirn geschädigt wird, können körperlich fordernde Aktivitäten Schäden reparieren. Leider haben die Macher der Studie den Teilnehmern für das Fitness-Modul Bewegung keine koordinativ anspruchsvollen sportlichen Aktivitäten abverlangt. Und so war auch das Ergebnis: ihre geistige Fitness blieb fast unverändert.

Quelle: https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Geistiger-Abbau-laesst-sich-bremsen-233724.html

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3-2. Ausdauerstudie der Sporthochschule Köln

Drei mal wöchentlich Laufen?

Die Schulschwestern von Notre Dame wurden nach ihrem Leben befragt, um Antwort darauf zu finden, warum sie trotz massenhafter Eiweißablagerungen im hohen Alter nicht dement waren. Einen Schritt weiter gehen neuere Studien. Sie untersuchen, ob Bewegung im Alter Demenz aufhalten kann.

Sie greifen damit genau die Frage auf, die für ältere Menschen heute enorm wichtig ist: was kann ich tun, um geistig gesund zu bleiben? Und ganz speziell: auf welche Art muss ich mich bewegen, um geistig fit zu bleiben? Studien, zuletzt 2019 von der Sporthochschule Köln, versuchen den Nachweis zu liefern, dass bei leichter kognitiver Beeinträchtigung im Alter durch regelmäßiges Ausdauertraining die Demenz verhindert bzw. verzögert werden kann.


Altersgemäß?

Die Studie unterscheidet zwischen sportlicher Betätigung im aeroben und im anaeroben Bereich. Von den Teilnehmern verlangen die Macher der Studie Ausdauertraining im moderaten Bereich, weil sich dabei der Körper stets ausreichend mit Sauerstoff (aerob) versorgt. Aerobes Training findet also in gemäßigtem Tempo statt und wurde für die Studie zur „Demenzvermeidung durch Bewegung“ ausgewählt, weil es als die für ältere Menschen gemäße Bewegungsform angesehen wird.1

1 Im anaeroben Bereich erfolgt die Energiegewinnung ohne Sauerstoff. Dabei wird Glukose durch einen Prozess namens Milchsäuregärung abgebaut, um Energie zu erzeugen. Dies geschieht, wenn die Sauerstoffzufuhr nicht ausreicht, um den Energiebedarf der Muskeln zu decken, wie es bei intensiven, kurzen Belastungen der Fall ist.


Warum Ausdauertraining?

Ausdauertraining wurde als die wahrscheinlich effektivste Form der Übung genommen, weil die Teilnehmer damit ihre körperliche Fitness und das seelische Wohlbefinden steigern und so auch für den geistigen Bereich langfristig die besten Ergebnisse erzielen würden. So zumindest die irrige Annahme der Studie. 180 Personen mit amnestischer MCI (Anzeichen beginnender Demenz) waren beteiligt und einem 12-monatigen Training unterworfen. Drei mal pro Woche mindestens 45 Minuten Ausdauertraining war vorgegeben. Für die Vergleichsgruppen wurden Dehn- und Muskelaufbauübungen bzw. eine Kontrollgruppe ohne körperliche Betätigung genommen.

Warum von den Probanden Ausdauer- statt geistig anspruchsvollem Koordinativsport verlangt wurde, bleibt das Geheimnis der Sporthochschule. Allerdings befinden sich die Macher der Studie damit im Einklang mit allen weltweit zu diesem Thema durchgeführten Forschungsstudien. Das Ergebnis nach Ablauf der Studie war ernüchternd: Sport ist gut für Herz-Kreislauf, für die Seele und regt an, sich mehr am allgemeinen Leben zu beteiligen. Ob es aber etwas für’s Gehirn gebracht hat, darüber hat die Studie keine nennenswerten Ergebnisse liefern können.

Ausdauersport für die Hirngesundheit zu empfehlen, ist so abwegig wie regelmäßiges Hände waschen für die Zahngesundheit

Kritik: Geistige Fitness ist nicht auf die leichte Art zu erhalten

Wenn man bedenkt, wie viel die Menschen in Deutschland rauchen und Alkohol trinken, was sie essen, wie wenig sie sich bewegen und welchem Stress sie im Arbeitsleben ausgesetzt sind, dann kann man nur den Schluss ziehen, dass in Deutschland heute das ungesunde Leben und folglich entsprechende Schädigungen in den Netzen älterer Menschen das Normale ist. Und so ist es geradezu eine fahrlässige Irreführung, wenn aus berufenem Munde geraten wird, drei Mal die Woche mit Stöcken zu walken oder auf geebneten Wegen zu laufen. Geistige Fitness nach einem ungesund geführten Leben ist eben nicht auf die leichte Art zu erhalten. So muss man sich nicht wundern, wenn zuletzt die Hälfte der 90-Jährigen in Deutschland unter Alzheimer leidet.

Zur Übungsinterventionsstudie der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS): National Library of Medicin

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3-1. Die Nonnenstudie

Meilenstein in der Demenzforschung

Eine der faszinierendsten Studien zur Alzheimer-Krankheit ist die sogenannte Nonnenstudie. Amerikanischen Forschern war aufgefallen, dass Nonnen oft erheblich älter werden als die übrige Bevölkerung, aber der Prozentsatz an Altersdemenz bei ihnen weit unter dem üblichen Maß liegt. Eigentlich wollten sie bei den 678 ausgewählten Nonnen nur herausfinden, wie sie gelebt haben und ob sie bis zu ihrem Tod noch geistig fit waren. Nach ihrem Tod hat man mit deren vorherigem Einverständnis das Hirn auf die gefürchteten Anzeichen der Alzheimerkrankheit untersucht, um wissenschaftliche Rückschlüsse zwischen ihrem für die Studie aufgezeichneten Lebenslauf und der Krankheit ziehen zu können. Wikipedia: Nonnenstudie

Eine der Nonnen, Schwester Bernadette hatte zu Lebzeiten keinerlei Demenzerscheinungen. Zu aller Überraschung hat die Untersuchung ihres Gehirns nach ihrem Tod ergeben, dass es mit Plaques übersät war und nach den Gewebeproben zu urteilen, war sie eine schwer demente Frau: quasi ohne Gedächtnis und im Endstadium von Alzheimer. Und trotzdem: Bis zu ihrem Tod war sie geistig rege und übte ihre anspruchsvollen körperlichen Tätigkeiten aus. Niemand, auch sie selbst nicht, merkte etwas von einer Krankheit.


Weitere Fälle

Nach der Überraschung bei Schwester Bernadette wurden noch viele ähnliche Fälle mit Schwestern entdeckt, die trotz geschädigter Gehirne geistig gesund waren. Der Zusammenhang zwischen den Plaques und der Demenz war in Frage gestellt.


Kritik: Auf halbem Weg stehen geblieben

Dass die Nonnen aus dem Orden der Schwestern von Notre Dame in den USA für eine Studie ihre Gehirne zu Forschungszwecken zur Verfügung stellten, ist ungewöhnlich genug. Dass die Studie dabei den bis dahin geltenden Zusammenhang von Plaques und seniler Demenz erschütterte, war eine Sensation. Das Forschungsteam, hatte etwas Entscheidendes entdeckt: selbst eine Unzahl von Eiweißablagerungen und ein schrumpfendes Gehirn bedingen nicht zwingend Alzheimer. Eine Meldung also, die noch heute und für jeden einzelnen von uns von großer Bedeutung ist.

Damals, als die Macher der Studie bemerkten, dass man trotz eines geschädigten Gehirns, geistig fit bleiben kann, hätte man schon die entscheidenden Erkenntnisse gewinnen können, wie Demenz nach einem ungesund geführten Leben verhindert werden kann. Doch sie sind gescheitert. So bahnbrechend die Erkenntnisse waren, so unvollständig waren die Folgerungen daraus. Die Macher der Studie sind auf halbem Weg stehen geblieben. Auf die Frage, wie es den Nonnen gelungen ist, geistig fit zu bleiben, wurde einfach nur alles zusammengetragen, was das Leben der Nonnen ausmachte.


Leben wie die Nonnen?

Gartenarbeit, Gemeinschaft, gesundes Essen, der Glaube und das tägliche Gebet, ihre Lehrtätigkeit, die Pflege kranker Mitschwestern, Gespräche, Singen und anderes mehr. Da ist vieles dabei, was nicht zu schaden vermag, wirklich geholfen hat es aber niemandem, denn die Lebenswirklichkeit der Menschen ist eine andere.

https://www.i-rm.org/die-nonnenstudie/ (Ruth Mischnik Institut)


Die Studie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, keine Verbindung zwischen der geistigen Fitness der Nonnen und ihren körperlichen Aktivitäten im Alter hergestellt zu haben. Statt aufzulisten, wie ihr Leben verlaufen ist, wäre es hilfreich gewesen, ihre Regsamkeit im Alter festzuhalten: wie sie sich bewegten, ob sie evtl. Sport getrieben haben und ob ihre alltäglichen Verrichtungen mehr oder weniger Konzentration erforderten.

Die so gewonnen Aufzeichnungen über jede einzelne Nonne, verglichen mit den Feststellungen bei der Untersuchung ihrer Gehirne, hätten wertvolle Grundlagen für viele weitere Alzheimerforschungen liefern können. So aber blieb die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen Bewegung und Demenzvermeidung unbeantwortet.

Der logische Trugschluss bei Schwester Bernadette

Im Übrigen, vom Lebensstil von Schwester Bernadette darauf zu schließen, warum sie nicht dement wurde, ist nicht logisch. Sie hat offensichtlich gerade nicht wie eine Nonne gelebt, sonst wäre ihr Gehirn nicht von den Eiweißablagerungen übersät gewesen. Dass sie trotzdem zu der Zeit, als ihr Gehirn bereits geschädigt war, geistig fit geblieben ist, wirft die Frage auf, wie vielseitig und anspruchsvoll sie sich in ihren letzten Lebensjahren bewegt hat. Daraus hätte man dann schließen können, was im Alter nach einem ungesund geführten Leben nötig ist, um geistig fit zu bleiben.

Alzheimerforschung müsste also zweigeteilt sein: Erstens, wie soll man leben, um Plaques im Hirn zu vermeiden? Und zweitens, was kann man im Alter tun, damit Plaques im Hirn keinen Schaden anrichten?

1David Snowdon (Leiter der Nonnenstudie) : Lieber alt und gesund – Dem Altern seinen Schrecken nehmen (Blessing-Verlag)

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3. Die Forschung: Was die Studien sagen und was noch offen ist


Inhalt 3. Abschnitt

In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, was bisherige wissenschaftlichen Studien ergeben haben und was noch fehlt. Obwohl im Alter viele bereit sind, sich für ihre geistige Gesundheit zu verausgaben, gibt es keine Studien mit Teilnehmern, die statt ihre Ausdauer regelmäßig ihre koordinativen Fähigkeiten trainieren. Im abschließenden Fazit wird beschrieben, wie zukünftige Studien aussehen könnten.


1. Die Nonnenstudie

Eine der faszinierendsten Studien zur Alzheimer-Krankheit ist die Nonnenstudie. Sie öffnete die Tür zu einem besseren Verstehen der Krankheit.

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2. Die Ausdauerstudie der Sporthochschule Köln

Einen Schritt weiter als die Nonnenstudie gehen neuere Forschungen. Sie untersuchen, ob Bewegung Demenz aufhalten kann.

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3. Die FINGER-Study aus Helsinki

Eine sehr renommierte Studie aus Finnland weckt Hoffnung, kann sie aber nicht erfüllen

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4. Die Agewell-Studie der Uni Leipzig

Gesund leben und anspruchsvoll bewegen

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5. Ein Überblick zu den Studien.

Weltweit wurden zwischenzeitlich viele Studien durchgeführt. Ein Überblick

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6. Das Fazit aus den Studien:

Weltweit in die falsche Richtung?

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8. Das Datenkreislaufsystem

Ein körperumspannendes Netz, das für die Qualität der Bewegung zuständig ist.

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2-11. Einwände gegen die Theorie der Demenzvermeidung durch Bewegung

1. Geistig gesund trotz Bewegungslosigkeit

Beispiele von Menschen, die sich wenig bis gar nicht bewegten, kennt jeder. Besonders zu nennen wäre der Astrophysiker Stephen Hawking. Bei ihm hat es die Natur auf die Spitze getrieben. Jahrzehnte lang war er vollkommen bewegungsunfähig, aber seine Geistesgröße war schier unvorstellbar. Ist damit die eingangs genannte Hypothese, wonach die körperliche Bewegung die Quelle des Geistes ist, hinfällig? Gibt es zwischen Körperkoordination und der kognitiven Leistungsfähigkeit des Menschen also doch keinen Zusammenhang?

Als Kind kein Stubenhocker

Stephen Hawking wurde im Januar 1942 geboren. Kurz vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag stellten die Ärzte bei ihm eine unheilbare Erkrankung des Zentralnervensystems fest. Es kam zu der von den Ärzten erwarteten Degeneration der Muskulatur. Falsch lagen die Ärzte mit ihrer Prognose, dass die Krankheit schon nach wenigen Jahren tödlich enden würde.

Als Jugendlicher war Stephen Hawking sportlich sehr aktiv. In der renommierten St. Albans School brachte er es zum Steuermann des Achters. Erst mit Anfang zwanzig zeigten sich erste Lähmungserscheinungen. Ab dem sechsundzwanzigsten Lebensjahr war er an den Rollstuhl gefesselt. Warum Stephen Hawking geistig fit geblieben ist, bleibt eine Spekulation: Als Erklärung bietet sich an, dass er gesund gelebt hat oder er zu den Menschen gehörte, die nicht zur Plaquesbildung neigen. Dass er dann nach fast fünfzig Jahren ohne Bewegung immer noch klar denken konnte beweist, geistige Fitness im hohen Alter ist auch ohne Sport möglich.

Das Beispiel Stephen Hawking zeigt allen und besonders jenen, die körperlich eingeschränkt sind, sich im Leben möglichst gesund zu ernähren, nicht über die Stränge zu schlagen, sich geistig zu fordern und Kontakte zu pflegen.

2. Dement trotz Bewegung


Zu glauben, mit viel Bewegung gegen Demenz gefeit zu sein, ist ein Irrglaube. Oft wird berichtet, dass ein guter Bekannter doch täglich mit dem Hund spazieren gegangen ist. Und im Sommer ist er Rad gefahren und hat durchaus auch koordinativ anspruchsvollen Sport getrieben. Trotzdem sei er dement geworden. Ist demnach die Bewegung doch kein Garant, die Demenz zu verhindern?

Bei der Frage „dement trotz Bewegung“ sind zwei Einflussfaktoren zu beachten:

1. Wie stark ist die individuelle Plaquesbildung?

2. Wie viel und welche Art der Bewegung wurde der Demenz im Alter entgegen gesetzt?

Wollte man untersuchen, warum beim genannten Beispiel der Betroffene dement geworden ist, müsste man diesen Fall im Detail untersuchen: welche Schäden sind im Gehirn in dessen Leben eingetreten und was hat er diesen Schäden entgegengesetzt. Eventuell ist er ein Beispiel dafür, dass der Plaquesbefall sehr groß war und im Verhältnis dazu die koordinativen Aktivitäten zu wenig vielfältig waren. Jedenfalls ist jeder Fall anders und das Gehirn ist zu komplex organisiert, um mit Einzelbeispielen etwas beweisen zu können.

Drei Arten sich zu bewegen, sind zu unterscheiden:

1. Stressfrei: Sport und Bewegung im stressfreien Bereich: Diese Art, sich zu bewegen ist für ältere Menschen geeignet, die von senilen Plaques wenig oder nicht betroffen sind. Spazieren gehen und leichte sportliche Aktivitäten sind natürlich für die körperliche Gesundheit immer zu empfehlen. Aber, wer nicht zu Plaques neigt, bleibt geistig fit auch ohne Sport.

2. Mäßiger Stress: Das sind sportliche Aktivitäten, die sowohl dem Körper als auch dem Geist mäßige Anstrengungen abverlangen. Diese Art ist für alle geeignet, die gesund gelebt haben, aber “zur Vorsicht” etwas tun wollen. Regelmäßig aktiv sein, gehen oder laufen im unwegsamen Gelände, leichte Bergwanderungen oder Skilanglauf im Winter sind zu empfehlen. Dazu noch Übungen, die auch die Balance fordern.

3. Stress betont: Sport und aktive Bewegungseinheiten mit Bewegungsstress, der insbesondere das Hirn fordert, ist für all jene zu empfehlen, die bereits Symptome von Demenz spüren oder eine Diagnose der Krankheit im Frühstadium erhalten haben. Stress betonte Übungen, die heilsam die Neuroplatizität des Gehirns anregen sind individuell, möglichst von geeigneten Therapeuten zu erarbeiten. Beispiele sind: Balancieren, Klettern, Tanzen oder fordernde Bergtouren.

3. Geistige Fitness auch durch geistige Anstrengungen?

Soll man Rätsel lösen und Vokabeln lernen?

Neben diesen Gegenbeispielen gibt es auch noch den generellen Einwand, dass es zu einseitig ist, Bewegung als einzige Möglichkeit zum Erhalt der geistigen Gesundheit im Alter anzusehen. Die Behauptung, ohne Bewegung sei die Demenz vorprogrammiert, löst viel Widerspruch aus: “Netzbau gibt es auch durch geistige Anstrengungen”.

Untermauert wird der Einwand stets damit, dass auch geistige Herausforderungen positive Wirkungen auf den Erhalt der neuronalen Netze haben können: Memory, Sudoku, eine Sprache lernen, Puzzles machen, seine Biographie schreiben, Gedichte lernen, Musik komponieren, Schach spielen und, und, und.


Hilft memory®

Durch kognitive Herausforderungen der Demenz begegnen zu können, ist ein allgemeiner Irrglaube. Sich geistig auch noch so zu fordern kann niemals den Schaden auch nur eines senilen Plaques beheben.


Der Ausdruck „Denksport“ ist irreführend. Denken und Sport treiben sind für das Hirn zwei vollkommen unterschiedliche Vorgänge: der Sport schafft die Netzverbindungen, das Denken dagegen nutzt sie (nur). Wer also gesund gelebt hat und keine schadhaften Stellen im Hirn zu befürchten hat, dem reicht es allemal, die bestehenden Netze durch geistige Herausforderungen stabil zu halten.

Der endgültige wissenschaftliche Beweis, dass nur Bewegung Demenz verhindern kann, steht noch aus. Aber wie die Kindern in ihren ersten Jahre die Netze für das Gehen, Radfahren, Schwimmen etc. bauen und erweitern, beweist, wie neuronale Schaltkreise entstehen: erst durch die Bewegung selbst. Und dass man schadhaften Stellen im Gehirn nur durch Bewegung begegnen kann, zeigt die Behandlung von Schlaganfallpatienten. Sie können bestätigen, dass sie niemals durch kognitive Herausforderungen, sondern nur durch Bewegung und ständigem Wiederholen wenigstens einen Teil ihrer Gesundheit wieder erlangt haben.

Beides, Sport treiben und sich kognitiv fordern, das ist der Königsweg für körperliche und geistige Fitness bis ins hohe Alter.

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2-10. Der Körper, ein pharmazeutischer Betrieb?

Wie aus Bewegung ein Schlafmittel wird

Adenosin-Triphosphat (ATP), braucht der Mensch zum Bäume ausreißen und damit der Geist sprudelt. ATP, das ist die energiereichste Substanz, die der Körper hat und er produziert es aus dem, was wir essen. Ein kräftiges Frühstück wandelt er in diese Substanz um und stellt sie den Muskeln und dem Gehirn über den Tag für ihre Aktivitäten zur Verfügung.

Adenosin (A), das ist die Substanz für den süßen Schlummer. Und für einen Schlaf, der uns in der Früh wieder körperlich fit sein lässt und das Gehirn so aufräumt, dass es wieder leistungsfähig ist. Mehr noch: alles was das Hirn am Vortag an Eindrücken, Informationen und körperlichen Herausforderungen bewältigen musste, wird so verarbeitet, dass es zukünftig zur Problemlösung zur Verfügung steht. Und dabei gilt: Neues Wissen wird zu Beginn der Nacht verankert. Das Lernen neuer Bewegungsabläufe hingegen findet eher in der zweiten Nachthälfte statt.1

Der Schlaf ist also das Mittel, den Tag zu bestehen. Bloß, um den erholsamen und ausreichenden Schlaf ist es bei vielen schlecht bestellt. Ein Grund dafür könnte sein, dass abends dem Körper Adenosin fehlt. Dabei ist es ganz einfach: im Laufe des Tages muss er bloß das Adenosin-Triphosphat (ATP) in Adenosin (A) umwandeln, indem er das Triphosphat (TP) abbaut. Und abgebaut wird es – wie könnte es anders sein – durch Bewegung und die Aktivitäten des Tages.

„Adenosin fällt als Abbauprodukt des energiereichen Adenosintriphosphats (ATP) an, das von den Körperzellen für die unterschiedlichen biologischen Prozesse verbraucht wird. Je höher dadurch die Adenosin-Konzentration steigt – je mehr Energie die Zellen also verbrauchen – desto mehr nimmt der Schlafdruck zu. Beim Schlafen wird Adenosin wieder ab- und ATP aufgebaut. Der Schlafdruck sinkt wieder. Dieser Kreislauf beginnt am Folgetag von neuem.“ (Gesunder Schlaf Wikipedia: Adenosin)

So einfach macht sich das der Körper: Das Frühstück verwandelt er morgens in Energie und diese verwandelt er tagsüber mittels Bewegung in ein Schlafmittel

Noch vieles könnte genannt werden, besser schlafen zu können: am Abend wenig essen und statt vor dem Fernseher zu liegen noch einen kleinen Spaziergang machen. Schon das Sprichwort weiß es, wie das Essen über den Tag verteilt werden sollte: morgens wie ein König und abends wie ein Bettelmann. Und vor allen Dingen sollte man beim Einschlafen an etwas Schönes denken. Etwas, das der Tag gebracht hat oder etwas, das der nächste Tag bringen wird.


Die schönen Seiten des Schlafes entdecken: sich wohlig einkuscheln und mit einer schönen Erinnerung des Tages loslassen.

1 Ratgeber für einen guten Schlaf gibt es viele. Zu empfehlen ist das Buch „Erfolgsfaktor Schlaf“ von Dr. Martin Schlott. (Ariston Verlag).

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2-9. Das Hirn gibt niemals auf:

Müll wird entsorgt und die Werkstatt erneuert das Netz

Unser Gehirn, einmal wohlwollend betrachtet, hat doch sehr viel Geduld mit unserem liederlichen Lebenswandel. Viele, leider viel zu viele haben „normal“, also ungesund gelebt. Mit fortgeschrittenem Alter haben sich im Gehirn unzählige Plaques gebildet und in der Folge führt dies zum beginnenden Gehirnschwund. Doch das Gehirn gibt nicht auf, es gibt uns noch Jahre Zeit, die es zu nutzen gilt. Erst nach Millionen weiterer Plaques macht es schlapp und gibt sich der Demenz hin.

Statt durch Bewegung Material für die Werkstatt, liefern wir dem Hirn wertlose Fernsehbilder für die Müllabfuhr

Wenn wir schlafen und das aktive Bewusstsein ausgeschaltet ist, macht sich das Hirn an seine heilsame Aufgabe. Für seine nächtliche Arbeit stehen dem Hirn zwei betriebliche Einrichtungen zur Verfügung: die Werkstatt und die Müllabfuhr. In der Werkstatt werden alle Bewegungen des vorangegangenen Tages gebraucht, um die Arbeiten zur Erneuerung, Erweiterung und Stärkung der Netze auszuführen. Alles was am Tag an Bewegung koordiniert werden musste, verwendet das Gehirn, sich selbst immer gebrauchsfähig zu halten.

Bei dieser heilsamen Arbeit an sich selbst, unterscheidet das Gehirn drei Arten der Bewegung. Die regelmäßigen Bewegung, wie das Gehen, werden zur bloßen Stärkung des vorhandenen, möglchst intakten Netzes verwendet. Die koordinativ fordernden Bewegungen verwendet es zur Erneuerung des da und dort schon lückenhaften Netzes. Und ganz neue Arten der Bewegung, also wenn man im Alter noch auf ein Skateboard steigen würde, werden zur Bildung neuer Netze genutzt. Und das alles in der Nacht, ohne dass wir es merken.


Alles wird gebraucht

Die Werkstatt des Gehirns ist sehr daran interessiert, möglichst viel Material an allen der drei Bewegungsarten zu bekommen. Besonders aber solche Bewegungen, die komplex zu koordinieren waren.

Und noch eines, die „Werkstatt“ im Hirn arbeitet just in time. Ohne Bewegung am Tag, bleibt in der Nacht die Werkstatt zu.


Im Tiefschlaf kommt die Müllabfuhr


In der Müllabfuhr dagegen landet alles, was zur Gehirnerneuerung nicht benötigt wird. Vor allen Dingen sind das Nacht für Nacht die unzähligen Bilder und Eindrücke des Tages. Hierzu gehören auch Stoffwechselprodukte, die
im Laufe eines Tages sich anhäufen. Ohne Schlaf würde es mit viel
Energieaufwand auch das Nutzlose speichern und zuletzt würde es
wegen Überfütterung förmlich platzen. Allenfalls solche Bilder und
Erinnerungen des Tages, die sehr eindrucksvoll oder mit starken
Emotionen verbunden waren, werden abgespeichert. Die hierfür von der
Evolution entwickelte Müllabfuhr wird glymphatisches System genannt.
Man muss sich das als eine Art Förderband vorstellen, auf der die
Stoffwechselschlacken abgeladen und dann aus dem Gehirn transportiert
werden. Es funktioniert besonders effektiv in der Tiefschlafphase.


Nutzloses wird entsorgt

Wenn wir in Rente gehen, freuen wir uns erst mal darüber, endlich viel Zeit für uns selbst zu haben. Doch leider machen wir viel zu wenig daraus. Von den wenigen Stunden, die wir wach und nicht mit Essen und Besorgungen beschäftigt sind, verbringen wir im Schnitt die Hälfte untätig vor dem Bildschirm: statt durch Bewegung Arbeitsmaterial für die Werkstatt zu liefern, liegen Rentner am Sofa und beliefern ihre graue Hirnmasse mit unzähligen nutzlosen Bildern.


Schlafen können!

Zur Stärkung der neugebildeten Nervenverbindungen und für die Nachhaltigkeit der Gehirnerneuerung ist erholsamer Schlaf essentiell. In der Behandlung von Schlaganfallpatienten stehen deshalb Stressreduktion, effektive Schmerz- und Depressionsbehandlungen sowie Entspannungs- und Achtsamkeitstraining zur Verbesserung der Schlafqualität im Zentrum des Behandlungskonzepts.“ (Zitat: Medical Park Loipl)

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2-9. Wann ist Bewegung koordinativ anpsruchsvoll?

Ein Ereignis

Die Frage, wann Bewegung koordinativ anspruchsvoll ist, ist einfach zu beantworten: je nach dem! Erst einmal, jede Bewegung ist vom Gehirn zu koordinieren, aber in der Regel macht es das automatisch. So wird das Gehen, Schritt für Schritt, ein Leben lang vom Gehirn koordiniert ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wenn das Kleinkind aber zum ersten mal ein paar Schritte hin zu Mutter gehen will, ist das eine sehr anspruchsvolle Herausforderung und für die ganze Familie ein Ereignis.

Definition

Allgemein formuliert kann man sagen: Bewegung ist anspruchsvoll, wenn sie Koordination erfordert, für die es im Gehirn kein oder kein gut ausgebildetes neuronales Netz gibt. Im Kindesalter ist erst einmal jeder Bewegungsablauf herausfordernd, aber einmal gelernt, dann für Jahrzehnte wenig anspruchsvoll. Wenn nach einem langen Leben die für das Alter typischen Schädigungen im Gehirn eintreten, dann werden, Jahr für Jahr mehr, diese einmal gelernten Abläufe erneut koordinativ anspruchsvoll.

Gleichzeitig

Grundsätzlich gilt auch, je mehr Bewegungselemente gleichzeitig ausgeübt werden sollen, erfordert dies eine gute Abstimmung zwischen den verschiedenen Bewegungselementen und der Anspruch für das Gehirn potenziert sich mit jeder jedem weiteren. Auf dem linken Bein stehen und mit dem rechten Knie im Uhrzeigersinn kreisen, ist machbar. Noch leichter fällt es, rhythmisch mit dem linken Arm gegen den Uhrzeigersinn kreisen. Wenn aber gleichzeitig das rechte Knie und der linke Arm gegengleich kreisen sollen, wird es für das Koordinationsvermögen anspruchsvoll. Ein gutes Beispiel für unterschiedlich und gleichzeitig ist das Spielen auf dem Klavier, wenn die Finger der rechten und die der linken Hand zusammen agieren.

Sonderfall Schlaganfall


Im besonderen Fall eines Schlaganfalls kann es bereits höchst anspruchsvoll sein, den betroffenen Arm auf der vom Schlag betroffenen Seite wieder zu heben. Dazu bedarf es erfahrener Therapeuten, viel Ausdauer je nach Schwere der Schädigung im Gehirn gelingt es, wie ehedem den Arm wieder in der gewohnten Form zu benutzen. Beim Schlaganfall stellen sich demnach wieder jene Herausforderungen wie beim Kleinkind ein, nur dass es im Alter sehr viel schwieriger ist, sich neue bzw. sich erneut einst gekonnte Bewegungsabläufe anzueignen.

Tanzen: Das Musterbeispiel koordinativer Bewegung

Aus der Perspektive des Gehirns stellt sich jede Bewegung stets so dar, dass sie entweder automatisch ausgeführt werden kann, oder sich eine Stresssituation unterschiedlichen Grades einstellt. Und Stress stellt sich immer dann ein, wenn das neuronale Netz nicht genügt, eine Bewegung in der vom Körper gewünschten Form auszuüben. Besonders ist das beim Gemeinschaftstanz mit komplexen Tanzschritten zu spüren.


Wenn im Rhythmus nach dem Takt der Musik und nach den von der Tanzlehrerin angesagten Schrittfolgen diese im Gleichklang mit den Mittänzern umgesetzt werden sollen ist das für das Gehirn eine besonders koordinative Herausforderung. Stress pur aber heilsam allemal.

Tanzen ist Träumen mit den Beinen
(Finnisches Sprichwort)