4-6. René Descartes:

Philosophie im Bann der Kirche

Als der große mittelalterliche Philosoph René Descartes (1596 – 1650) über das Verhältnis von Leib und Seele nachdachte, war es nicht ratsam, die Kirche herauszufordern. Allerdings hatte Descartes als Mathematiker und Philosoph einen naturwissenschaftlichen Anspruch, was damals oft den Glaubenslehren zuwiderlief. Aristoteles, der sich im Gegensatz zu Platon eindeutig darin festlegte, dass es keinen vom Körper unabhängigen Geist, also keine göttliche Seele gibt, wollte Descartes, ganz im Sinne der Kirche, wissenschaftlich widerlegen.

Die Zirbeldrüse, Retter des Dualismus


Beziehungskiste zwischen Körper und Geist

Descartes wollte beim Dualismus von Körper und Geist bleiben. Für ihn waren es zwei unterschiedliche Substanzen, aber weil er erkannte, dass sich diese gegenseitig massiv beeinflussen, musste es eine Interaktion, also eine „Beziehungskiste“ zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen geben. Diese Stelle, wo der Geist auf den Körper und umgekehrt der Körper auf den Geist einwirkt, hat Descartes schließlich im Gehirn lokalisiert und zwar genau in der Zirbeldrüse.


Wie Descartes auf die Zirbeldrüse gekommen ist, bleibt bis heute sein Geheimnis, hatte aber für ihn den entscheidenden Vorteil, sein dualistisches und mechanistisches Weltbild zu retten: alles körperliche (res extensa) unterliegt dem Irrtum und ist anzweifelbar. Einzig das Geistig-Kognitive (res cogitans) ordnet Descartes dem Unbezweifelbaren zu: „Ich denke, also bin ich“.

Vater des mechanistischen Weltbildes

Descartes gilt bis heute als Vater des rein mechanistischen Weltbildes mit fatalen Folgen. Etwa, indem er den Tieren keine eigene Seele zuerkannte. Keine Seele bedeutet kein Mitleid mit den Tieren und für die Menschen wurde es selbstverständlich, Tiere als Sachen zu behandeln. Grausame Massentierhaltung ist noch heute gängige Praxis.


In der Medizin wurde der Körper Jahrhunderte lang bloß als Maschine oder Uhrwerk betrachtet und die Heilkunde beruhte auf der Ansicht, „der Körper sei eine Maschine, Krankheit die Folge einer Panne in dieser Maschine, und die Aufgabe des Arztes sei es, die Maschine zu reparieren“1. Ganzheitliche Medizin: Fehlanzeige


Descartes ebnete mit seinem mechanistischen Weltbild in wissenschaftlicher Form den Weg, was die Kirche schon auf Glaubensbasis formulierte. Er stellte das denkende Subjekt in den Mittelpunkt, der Körper dagegen schrumpfte auf eine zu vernachlässigende Größe. In Bezug auf die Seele teilt Descartes Platons These, dass diese den Menschen erst ausmacht: „demzufolge ist die Seele des Menschen also sein eigentliches Selbst, eine denkende und keine physische Substanz“2. Dass er damit dem Bewusstsein der Menschen für Gesundheit und Körperpflege keinen großen Dienst erwiesen hat, haben die folgenden Jahrhunderte gezeigt.

1 Fritjof Capra: Wendezeit, Bausteine für ein neues Weltbild. Scherz Verlag

2 Sophie-Louise Wagner: Wie entwickelte sich das Leib-Seele-Problem von Aristoteles über Descartes? Grin Verlag

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4-5. Zweitausend Jahre Christentum

Der Geist ist heilig, das Fleisch sündig und schwach

Im Verhältnis zur umfänglichen Ausarbeitung des Aristoteles über das Wesen der Seele ist Platons Phaidros nur eine schöne Phantasiegeschichte. Und trotzdem hat die Kirche diese zur Grundlage ihres Glaubensgebäudes mit einer unsterblichen Seele, der Auferstehung des Fleisches und einem Heiligen Geist gemacht. Platon lieferte ihr mit seiner dualistischen Trennung eine Steilvorlage und die Kirche hat seine Ideen nur damit erweitert, dass es der allmächtige Gott ist, der am Beginn des Lebens die unsterbliche Seele dem Leib hinzufügt. So war dann über zweitausend Jahre die Seele im Christentum der bessere, weil göttliche Teil des Menschen. Im Gegensatz zum schwachen Fleisch.

Die Kirchenoberen beließen es aber nicht dabei, der Seele Unsterblichkeit zu verleihen, sich gingen noch einen Schritt weiter. Der Geist wurde in der Trinität als Heiliger Geist zur Gottheit erklärt. Diese Gleichstellung des Heiligen Geistes mit Vater und Sohn wurde auf der Synode zu Konstantinopel im Jahr 381 angebahnt und dann bald zur herrschenden katholischen Lehre erhoben. Mehr noch, wer anders dachte wurde zum Ketzer erklärt.

Von einer Religion zum Machtapparat

So konnten ab dem Beschluss auf dem Konzil von der Kirche alle Menschen verfolgt werden, die die sich ihr nicht beugten. Der christliche Kirche wandelte sich von einer Glaubensgemeinschaft zu einem Machtapparat über die Menschen und alle weltlichen Institutionen. ( Wikipedia: Erstes Konzil von Konstantinopel) und (Heiligenlexikon: Konzile von Konstantinopel)

Eine Lehre, die den menschlichen Körper zu einer vernachlässigbaren Größe macht, hat sich, wie wir heute wissen, als verhängnisvoll erwiesen. Schlimmste Verbrechen, angefangen von den Kinderkreuzzügen bis zum Kindesmissbrauch in heutiger Zeit haben ihre letzte Grundlage darin, den menschlichen Körper als des Teufels anzusehen und ihn für „vogelfrei“ zu erklären.


Leibfeindlichkeit des Christentums

Mit der Erhöhung von Geist und Seele ging eine folgenschwere Herabsetzung des Körpers einher. Das Fleisch ist schwach. Es wurde als sündiger Teil des Menschen regelrecht gegeißelt. Statt der Ertüchtigung des Körpers wurde dessen Vernachlässigung das Wort geredet


An Einfältigkeit nicht zu überbieten

Dass einzelne Priester, die Kinder sexuell missbrauchten, dabei nicht bedachten, dass sie auch deren Seelen zerstören, hat wohl auch seine tiefere Ursache in der Trennung von Leib und Seele. Allerdings, dass sie wirklich geglaubt haben, die von Gott geschaffene Seele bleibe als vom Körper unabhängiger Teil rein und unbefleckt, ist aus heutiger Sicht an Einfältigkeit nicht zu überbieten.

Wollte die Kirche sich wirklich reformieren, um sich für die Zukunft wieder als eine glaubwürdige Institution zu etablieren, müsste sie die dualistische Trennung und die 381 n. Chr. vollzogene Erhöhung der Seele zum Heiligen Geist revidieren. Für ihre zukünftige Arbeit müsste sie die Sorge um den menschlichen Körper der Seelsorge gleichstellen. Dass mit alledem die Unsterblichkeit der Seele gleich mit ins Wanken gerät, würde allerdings an den Grundfesten ihres Glaubens rütteln.


Solange die christlichen Kirchen die Seele des Menschen als göttlich betrachten, und seinen Leib als des Teufels verachten, sind in ihren Institutionen dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet


„Der Name der Rose“

Umberto Eco’s Roman „Der Name der Rose“ ist eine einzigartige Beschreibung, wie in einem Bendiktinerkloster noch im 14. Jhd. mit tödlicher Unerbitterlichkeit die Auseinandersetzungen zum Verhältnis von Leib und Seele geführt wurden. Der Autor lässt bei der Suche zur Aufklärung der Morde im Kloster Logik und Irrglaube, Wissenschaft und Offenbarung, Philosophie und Kirche aufeinanderprallen.

Damit Platons Philosophie von der unsterblichen Seele gewahrt bleibt, müssen die Erkenntnisse des Aristoteles von der Einheit von Körper und Seele dort im Kloster unbedingt unter Verschluss bleiben. Entweder man bekennt sich zum Heilgen Geist oder man ist ein Ketzer.

Der im Buch dargestellte William von Baskerville, der zur Aufklärung der Morde bei den Benediktinern verweilt, ist bei Eco der historisch belegte belegte Franziskanermönch Wilhelm von Ockham, der von der Kirche wegen seiner Thesen zum Ketzer erklärt wurde. Im Roman kann sein Synonym mit seiner logischen Vorgehensweise die Morde aufklären, musste aber vom Kloster fliehen. Der Roman gipfelt im Verbrennen der Bibliothek, damit niemand an die Schriften der Erkenntnis gelangt und so das Mittelalter erhalten bleiben kann. Was immerhin noch einige Zeit gelang, wie die Geschichte zeigte.

„Der Name der Rose“ kann demnach auch als Roman zur mittelalterlichen Auseinandersetzung zwischen der Philosophie der Logik eines Wilhelm von Ockham und der Offenbarungslehre der Papstkirche, die damals in Avignon ihr Zentrum hatte.


Bevor sich mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche Mitte des 19. Jahrhunderts die Einstellung zum Körper wieder ins Positive wandelte, hat René Descartes als Philosoph und Naturwissenschaftler im 16. Jahrhundert der Kirche noch einmal den Rücken gestärkt. Mit fatalen Folgen.

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4-4. Aristoteles: De-anima


Für Aristoteles gehörte es „zum Schwierigsten“, zuverlässiges Wissen über die Seele zu erlangen, doch es wäre ein sehr lohnendes Ziel. Der Mensch sollte wissen, ob die Seele ein Einzelding ist, ob sie also eine Ausdehnung hat, oder “nur” eine Eigenschaft ist. Und vor allen Dingen, ob sie eigenständig existieren und ewig leben kann. Für Aristoteles war Platons Trennung von Leib und Seele eine Herausforderung zum Widerspruch und so verfasste er “De-anima” (Über die Seele).

Definition der Seele bei Aristoteles

Im Buch De-anima erläutert Aristoteles seine eigene Theorie über die Seele. Er definiert sie als “eine im Organismus liegende Kraft, die seine Entwicklung und Vollendung bewirkt”. Mit der Aussage, dass der Körper potenziell Leben hat, ist gemeint, dass er zum Belebtsein geeignet ist und die Seele kann diese Belebung verwirklichen. Die Seele ist für ihn also kein eigenständiges Wesen, das unabhängig vom Körper existiert, sondern dessen “Form” und daher vom Körper nicht trennbar.

“Form” im Sinne von Aristoteles bedeutet, dass sie dem einzelnen Menschen sowohl seine körperliche Gestalt als auch sein individuelles geistiges Vermögen verleiht. Sie verhält sich zu ihm wie das Augenlicht zum Auge oder die Kerze zum Wachs. Das eine ist demnach vom anderen nicht zu trennen und damit widerspricht der Schüler Platons der Auffassung seines Lehrers fundamental.

https://de.wikipedia.org/wiki/De_anima

Das Seelenvermögen von Pflanze, Tier und Mensch


Aristoteles unterscheidet verschiedene Seelenvermögen. Die Seele ist erst einmal das Lebensprinzip aller Lebewesen – Pflanzen, Tiere, Menschen. Unterschiedliche Lebewesen besitzen unterschiedliche Seelenvermögen und danach klassifiziert er die Lebewesen:

Pflanzen besitzen das vegetative Seelenvermögen, das für das  Wachstum und den Stoffwechsel verantwortlich ist.

Alle Tiere verfügen darüber hinaus über das sensitive Vermögen, die Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung, wenn auch manche nur den Tastsinn besitzen, den einzigen Sinn, den jedes Tier hat. Bereits aus dem Tastsinn ergibt sich die Unterscheidung von Angenehmem und Unangenehmem und damit das Begehren, also ein Gefühlsleben.

Allein die Seele des Menschen besitzt über das vegetative und sensitive Vermögen hinaus intellektuelles Vermögen, also die Fähigkeit zur Vernunft. Diese hat sich somit erst in der letzten von drei Phasen der seelischen Entwicklung, der menschlichen Phase, entfaltet. Die erste nennt Aristoteles also die vegetative (wachsende), die zweite die animalische (durchsetzungsfähige) Phase und die dritte Phase die der menschlichen Vernunft.

Ist die Vernunft des Menschen unsterblich?


Damit die Vernunft Erkenntnisse gewinnen kann, ist das Vorstellungsvermögen (phantasía) von Nöten. Dieses Vorstellungsvermögen definiert Aristoteles als eine Bewegung, die durch den Vollzug einer Sinneswahrnehmung erzeugt wird. Zu diesem Vorstellungsvermögen kommt das „Strebevermögen“, Erkenntnisse auch gewinnen zu wollen, hinzu. Damit im Menschen die Vernunft wirklich und nicht nur möglich ist, bedarf es eines aktiven und eines passiven Prinzips. Die aktive (oder tätige, wirkende) Vernunft ist in der Lage, zu abstrahieren, Schlüsse zu ziehen und Meinungen zu bilden. Die passive Vernunft wird biologisch vererbt, die aktive dagegen kommt „von außen“ in den Menschen hinein und ist damit unvergänglich, wie Aristoteles meint.

Unsterblichkeit der Seele durch die Hintertür?

Dass Aristoteles die „aktive Vernunft“ als von außen hinzukommend und unvergänglich bezeichnet, überrascht und scheint Platons Dualismus und seiner göttlichen Seele sehr nahe zu kommen.

Im Unterschied zu Platon und beispielsweise zur christlichen Seelenlehre proklamiert Aristoteles aber keine Unsterblichkeit der einzelnen Personen bzw. Individuen. Für Aristoteles bleibt es also dabei: auch wenn er die Vernunft des Menschen als eine universelle unvergängliche Eigenschaft definiert, gehen die individuelle Vernunft und die Seele zuletzt mit dem Tod des Körpers unter.

Wenn Platon also die Menschen mit einer unsterblichen Seele ausstattet, die bei der Geburt von außen hinzugefügt wird, dann entgegnet Aristoteles, dass der menschliche Körper bei der Geburt nur das Potenzial zu vernunftgesteuerten Erkenntnissen mitgeliefert bekommt. Daher vollzieht sich das Denken, so Aristoteles, nur durch Vorstellungen, die aus der Sinneswahrnehmung abgeleitet sind und nicht durch eine Seele, die in ihrem früheren Dasein die Welt der Ideen geschaut habe.

Tabula Rasa

Diese Aussage von Aristoteles, wonach der menschliche Geist über keine angeborenen Kenntnisse verfügt, sondern zu Beginn des Lebens einer unbeschriebenen Tafel gleicht, negiert Platons Thesen über die Seele als Ursprung unserer Erkenntnisse. Dass der menschliche Intellekt, so Aristoteles, von der Seele Wahrheiten erlangen kann, hält er für unhaltbar. Der Intellekt ist seiner Ansicht nach bei der Geburt ein „Tabula rasa“ und er erlangt Wissen nur durch „Anschauung“ aus den Sinnen, keinesfalls jedoch von der Seele.


Weichenstellung für die Zukunft des Menschen


Eigentlich, so könnte man sagen, haben Platon und sein Schüler Aristoteles die gegensätzlichen Positionen zum Thema Leib und Seele vollständig ausgearbeitet und „nur“ zur Diskussion gestellt. In der Folge wurde aber klar, dass beide Positionen auch das Zeug hatten, die Welt zu verändern. Es dauerte drei Jahrhunderte, als die Kirche den Dualismus Platons und die Unsterblich der Seele als Grundlage ihres Glaubens wählte, und damit das Leben der Menschen vollständig verändert.

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4-3. Die Philosophie Platons:

Trennung von Leib und Seele

Engültig gekippt hat die ganzheitlichen Denkweise des Hippokrates schließlich Platon, der große Philosoph der Antike. Er wollte, ganz in der Tradition der Orphiker, von der Einheit des Körpers und der Seele nichts wissen und gilt seither als der Philosoph des Dualismus. Durch seine Trennung von Leib und Seele wurde er für den Apostel Paulus und die frühen Kir­chenväter zum Vordenker. Besonders für das Christentums waren seine Ideen wegwei­send.

Sokrates’ Tod war für Platon nur zu ertragen, wenn dessen Seele nach dem Ableben sich als unsterblicher Teil vom Körper scheidet und unabhängig fortlebt. In seiner Lehre für die Unsterblichkeit der Seele wird der Dualismus philosophisch geadelt. Und weil eine göttliche Seele natürlich auch moralisch gut sein muss, hat Platon mit seiner Philosophie gleich eine Begründung für eine asketische Moral und eine von Gott gegebene Lebensweise mitgeliefert.
(Wikipedia: Phaidros)


Die göttliche Seele


Solange die Seele mit dem Körper auf Erden verbunden ist, so Platon, greifen die körperlichen Übel auf sie über und so kann die Sehnsucht des Menschen nach endgültiger Wahrheit nicht befriedigt werden. In der „Schule von Athen“ (Bild) werden jene philosophischen Fragen, wie das Leib-Seele-Problem diskutiert und für die Nachwelt formuliert.


Basis für 2000 Jahre christliches Abendland


Wenn „reine Erkenntnis“ wegen dieser unheilvollen Verbindung von Leib und Seele nicht möglich ist, dann können wir nur eines von beidem: entweder wir gelangen als Mensch niemals zum Verständnis oder mit Hilfe einer unsterblichen Seele. Und Platon entschied sich dafür, dass es eine unsterbliche Seele geben sollte und lieferte dafür in seinem berühmten Werk „Phaidros“ eine ausführliche philosophische Begründung: was Wissen, was Gerechtigkeit, was das Schöne und Gute ist, was Größe, Gesundheit, Stärke und mit einem Wort, was das Wesentliche von allen irdischen Dingen ist, kann nur durch ein Sich-Erinnern erlangt werden.

Daher müsse die Seele vor der Geburt existiert und dabei auch die Götter jenseits des Irdischen geschaut haben. Wie man sich dieses jenseitige Schauen vorstellen könnte, beschreibt Platon so: „die geflügelte Seele lenkt ihren Seelenwagen durch das Himmelsgewölbe“ und „sofern die Seele nicht abstürzt oder anderweitig scheitert, kann sie einen „überhimmlischen Ort“ erreichen, wo sie die „platonischen Ideen“ wahrnimmt, darunter die Idee des Schönen, das heißt das Urbild alles Schönen.

So einfach! Die Unsterblichkeit der Seele nahm damit jedenfalls ihren Lauf. Der Monismus hat sich in der antiken Geistesgeschichte also nicht durchgesetzt. Der Dualismus entwickelte sich zur herrschenden Strömung des abendländischen Denkens. Dass Platon damit die philosophische Basis des christlichen Abendlandes und aller späteren Religionen des Eingott-glaubens geschaffen hat, konnte er nicht ahnen.

1Platons Unsterblichkeitslehre im Dialog des Phaidros ist entnommen aus: Betrand Russel: Philosophie des Abendlandes.

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4-2. Orpheus: Abkehr von Hippokrates

Mystiker auf der Suche nach der Seele

Das ganzheitliche Denken des Hippokrates hatte in Griechenland keinen Bestand. Angefangen hat die Trennung von Leib und Seele in der griechischen Mythologie. Orpheus selbst ist wohl nur eine Phantasiegestalt, aber die Lehre der Orphiker ist bekannt, sie glaubten an die Seelenwanderung. Im menschlichen und tierischen Dasein gibt es ein belebendes Prinzip, das den Tod des Körpers überdauere. Beim Ableben trennt sich diese Instanz, die „Seele“, vom Körper und begibt sich als dessen schattenhaftes Abbild in die Unterwelt.

Dadurch erhielt die Seele eine zuvor unbekannte Autonomie. Ihre Verbindung mit einem Körper ist bloß eine Episode in ihrem Dasein. Sie galt nun nicht nur als unsterblich, sondern wurde auf eine vom vergänglichen Körper unabhängige und gottähnliche Basis gestellt. Diese Trennung hatte auch zur Folge, dass der Mensch zu einem der Moral verpflichteten Wesen wurde. Wer gut lebt, wird seelisch belohnt, wer schlecht lebt, dessen Seele wird bestraft. Zuvor galt in der griechischen Antike der menschliche Körper und die Menschen selbst der moralischen Gleichgültigkeit der Natur unterworfen.

Wer schlecht lebt, wird bestraft

Eine Moral, wie wir sie kennen war den alten Griechen so fremd wie ihren Göttern im Olymp. In Fragen wie Treue, Fairness, Gerechtigkeit, Raub und Totschlag herrschten die Naturgesetze. Mit dem Mythos der Orphiker wurde die Seele zur Instanz über Gut und Böse und damit zum Grundstein der Religionen.


Die Heimat der Seele

Wer schlecht lebt muss büßen, die Seele wird gezwungen, im Naturkreislauf zu verbleiben und kann sich auch in einem Tier wiederfinden. Endgültig kann sie die Körperwelt verlassen, wenn sie einen bestimmten Erlösungsweg beschreitet. Das Ziel ist dauerhaftes glückseliges Dasein im Jenseits, ihrer Heimat.


Mit dem Mythos der Befreiung der Seele vom vergänglichen Körper wollten die Orphiker dem Menschen etwas Gutes tun. Doch sie haben damit auch das ganzheitliche Denken ins Wanken gebracht und so dem Körper eine unheilvolle Zukunft beschieden.

1 Der Eintrag über die Orphiker bei Wikipedia zählt zu den Exzellenztexten in diesem Web-Lexikon.

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4-1. Hippokrates – ganzheitliches Denken:

Sind Körper und Seele untrennbar verbunden?

Gibt es eine Seele? Ein vom Körper unabhängiges Etwas, das von Gott geschaffen wurde, unsterblich ist und unser irdisches Dasein überdauert? Oder gibt es dieses etwas gar nicht und es gibt in Wirklichkeit nur einen Körper, der ganzheitlich zu betrachten ist, wie Hippokrates meint. So oder so, auf unsere Art zu leben hat die Antwort auf diese Frage einen entscheidenden Einfluss, hängt davon doch ab, ob wir uns im Leben mehr um die (unsterbliche) Seele oder um den (vergänglichen) Körper kümmern sollten. (Hippokrates: Urvater der Medizin. Wissen.de)

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Geist ist eine zentrale Frage seit der Antike und wird gewälzt seid Philosophen über Gott und die Welt nachdenken. Bei dem sogenannten „Leib-Seele-Problem“ stehen sich zwei gegensätzliche Ansätze gegenüber: die Monisten und die Dualisten. Die Monisten sehen Leib und Seele als Einheit, für die Dualisten sind Leib und Seele zwei voneinander getrennte Phänomene in einem Körper.


Der Mensch, ein beseelter Leib?

Als einen der frühen Monisten kann man den Arzt und Philosophen Hippokrates im 5. Jahrhundert vor Christus bezeichnen. Für viele Mediziner gilt er als derjenige Arzt der Antike, mit dessen Namen sich der Schritt von der Mythologie zur Logik im medizinischen Denken verbindet. Der Mensch erschien Hippokrates als ein Ganzes, als beseelter Leib. Körper und Seele sind untrennbar miteinander verbunden, beeinflussen sich gegenseitig und gehen im Tod gemeinsam unter.


Das Neue an Hippokrates:

Hippokrates hat den Menschen und seine Krankheit stets als Einheit gesehen und kann deshalb als erster Ganzheitsmediziner bezeichnet werden. Er fragte bei seinen Behandlungen seine Patienten immer auch nach deren Umfeld und nach ihrer Lebensweise! Er glaubte zudem an die Selbstheilungskräfte des Körpers und ging mit allzu radikalen Behandlungsmethoden eher vorsichtig um. »Unsere Körper sind die Ärzte unserer Krankheiten«. Worte, die heute wieder viel Zustimmung finden.

Keine Mühen scheuen

So wie Hippokrates Körper und Geist als eine Einheit betrachtete, gilt er für die Medizinhistoriker als der Begründer der Psychosomatik. Bekannt wurde Hippokrates auch, weil er von seinen Patienten etwas bis dahin einmaliges verlangte: wenig essen, viel bewegen und keine Mühen und Beschwerlichkeiten auslassen.1 Hippokrates war überzeugt, wenn der Mensch etwas für seine Seele tun wollte, für den Geist und die psychische Gesundheit, dann muss er den Körper gesund erhalten, sich bewegen und sportlich aktiv sein.

Hätte sich Hippokrates mit seiner ganzheitlichen Denkweise in der Antike durchgesetzt und in der Philosophie Bestand gehabt, wäre die Geschichte Europas anders verlaufen. Wer, wie bei der ganzheitlichen Denkweise, Geist und Seele im Tod mit dem Körper untergehen lässt, tut sich schwer mit Heilsversprechen und wird wenig Bereitschaft für Religionskriege finden.

Menschliche Hybris:

Wenn der Mensch behauptet, seine Seele sei ihm bei der Zeugung von Gott hinzugefügt worden, dann ist das so, als wollte der Apfelbaum erklären, der Geschmack seiner Äpfel werde seinen Früchten bei der Baumblüte vom „Gott des Apfels“ beigemischt.

Diese Hybris aber, wonach die Seele gottgegeben sei, führt geistesgeschichtlich in einer Linie zu Orpheus, dem Mystiker der Seele über Platon, den philosophischen Begründer ihrer Unsterblichkeit hin zu den christlichen Kirchenvätern, die schließlich die Seele als heilig und den Leib des Menschen als „des Teufels“ der Verbannung preisgegeben haben. Dazu die nachfolgenden Beiträge.

1Anmerkung: Die Ausdrücke Geist und Seele werden im Text nicht unterschieden. Im Sprachgebrauch unterscheiden sie sich dadurch, dass man dem Geist den Bereich des rationalen Überlegens und Handelns zuordnet, der Seele dagegen den Bereich der Gefühle und der Intuition.

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4. Philosophie: Das Verhältnis von Körper und Geist

Inhalt 4. Abschnitt

Das Verhältnis von Leib und Seele zueinander ist seit fast dreitausend Jahren Gegenstand der Auseinandersetzung in der abendländischen Philosophie. Stets drehte es sich um die Frage, ob der Mensch sich mehr um sein Seelenheil oder mehr um die Gesundheit des Körpers bemühen soll.


2. Orpheus: Mystiker der Seele

Das ganzheitliche Denken des Hippokrates hatte in Griechenland keinen Bestand.

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3. Platon: Trennung von Leib und Seele

Endgültig gekippt hat die ganzheitlichen Denkweise schließlich Platon, der große Philosoph der Antike.

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4. Aristoteles: De-anima

Mit seinen Betrachtungen „über die Seele“ widerspricht Platons Schüler Aristoteles seinem Lehrer fundmental

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5. Christentum: Das Fleisch ist sündig

Im Christentum war über zweitausend Jahre die Seele der bessere, der göttliche Teil des Menschen.

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6. Descartes: Philosoph im Bann der Kirche.

Als Wissenschaftler erkannte Descartes, dass sich Körper und Geist massiv beeinflussen, trotzdem blieb er beim Dualismus.

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7. Nietzsche: Attacke gegen die Verächter des Leibes

Friedrich Nietzsche brachte Platons Philosophie der Trennung von Leib und Seele ins Wanken und er attackierte die christliche Kirche gleichermaßen.

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8. Platon oder Aristoteles?

Noch bis heute ist das Verhältnis zwischen Körper und Geist eines der zentralen Themen der Philosophie.

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3-7. Forschungsansatz Daten-Kreislauf-System

Von den Sinnen über’s Rechenzentrum an die Muskeln

Die Welt, so wie wir sie wahrnehmen ist nicht eine unserer Sinne, sondern eine des Gehirns. Jedes Sinnesorgan liefert das Wahrgenommene nur in Form von Datensätzen an das jeweils zuständige Gehirnareal. Daraus erschafft es dann, jeden Tag wieder neu, eine ganze Welt: die Bilder des Tages, die Gerüche, das Erspürte, die bewusst wahrgenommenen Wörter und Töne sowie alle Geschmackserlebnisse. Ob der Tag dann ein schöner war, entscheidet am Abend wieder das Gehirn und jedes hat dafür seine eigenen Maßstäbe.

Je nach dem, wie das bisheriges Leben verlaufen ist, nimmt das Gehirn des einen Jazz-Musik als Wohlklang, das des anderen als Lärm wahr. Was ein schöner Garten ist, wird von Mensch zu Mensch anders empfunden und beim Essen sind die Geschmäcker sprichwörtlich sowieso verschieden. Wie auch immer, dass wir überhaupt jeden Tag eine Welt erschaffen können, hängt vor allem an einem funktionierenden Datenübertragungssystem (Nervenbahnen) und einem fehlerfrei arbeitenden Datenverarbeitungssystem (Gehirn).

Jetzt nach Jahren der Forschung mit Ergebnissen, die sich für die Demenzvermeidung als nicht durchschlagend erwiesen haben, ist es an der Zeit, einen neuen Ansatz zu wählen und dafür bietet sich das „Datenübertragungs- und -verarbeitungssystem“ an. Dessen Funktionieren ist für die geistige Gesundheit von eben solcher Bedeutung, wie das „Herz-Kreislauf-System“ für die körperliche Gesundheit, aber es ist noch in keiner Weise erforscht. Beide Systeme im Überblick:


1. Das Herz-Kreislaufsystem
Lebensspendend

Alle kennen das Herz-Kreislaufsystem. Vom Herzen wird das Blut durch ein riesiges Adersystem zu den Organen und Muskeln gepumpt, um die Körperzellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Von dort wird das verbrauchte Blut zur Regeneration in die Lunge und zuletzt wieder zum Herzen zurück gepumpt. (Wikipedia: Blutkreislauf)

Einmal das Blut vom Herzen und zurück zu pumpen, dauert etwa eine Sekunde und mit einem kräftigen Herzschlag beginnt die Zirkulation von Neuem. Dass dieses lebensspendende System im Alter regelmäßig trainiert werden muss, ist jedem nur zu bekannt. Zuständig ist das Herz-Kreislaufsystem für die mögliche Dauer der Bewegung und die angemessene Art, es zu trainieren, ist regelmäßiger Ausdauersport: Walking, Laufen, Radfahren, Schwimmen.


2. Das Daten-Kreislauf-Syste

Geistspendend

Nicht Blut sondern Daten zirkulieren im zweiten, weit weniger bekannten körperumspannenden System des Menschen. Gemeint ist das Netz der neuronalen Verbindungen von den Sinnen ins Rechenzentrum (Gehirn) und von dort aus nach der Verarbeitung hin zu jedem einzelnen Muskel. Es ist nicht wie das Herz-Kreislaufsystem lebensspendend, aber es schafft und bewahrt alles Geistige in den Lebewesen.

Wie das Herz-Kreislauf-System kann man auch dieses für die Datenübertragung zuständige System durch gezielte sportliche Aktivitäten fit halten. Zuständig ist das Datennetz für die Qualität der Bewegung. Im Zusammenhang mit den Fragen der Altersdemenz ist dieses System von eminenter Bedeutung und sollte ähnliche Beachtung finden, wie das Herz-Kreislauf-System. Gerechnet wird bei der Datenübertragung nicht in der Dauer von Sekunden, sondern in Millisekunden. (Wikipedia: Bewegungskontrolle) 1


Forschung ist gefordert?


Wissenschaftliche Forschung, die koordinativ anspruchsvolle Bewegung in ihrer Wirkung auf ein geschädigtes Gehirn ergründen will, sollte das Daten-Kreislauf-System in den Blick nehmen. Es ist für die geistige Gesundheit von großer Bedeutung und um es fit zu halten, kann dem Gehirn gar nicht zu viel abverlangt werden. Drei Faktoren bestimmen die Intensität, in der es gefordert ist:

1. Wie viele Muskeln sind an einem gewünschten Bewegungsablauf beteiligt?

2. Mit welcher Frequenz müssen die Muskeln aktiviert werden, um eine Bewegung in der gewünschten Qualität zu erhalten (Verarbeitungsgeschwindigkeit)

3. Wie lange wird die Bewegung ausgeübt (Verarbeitungsdauer)

Das Produkt der drei genannten Faktoren ergibt für die durchgeführte sportliche Aktivität ein bestimmtes vom Gehirn zu verarbeitendes Datenvolumen und je größer es ist, desto besser ist der Effekt für geistige Gesundheit. Dass bei einem halbstündigen Spaziergang im Park vom Gehirn wenig Daten zu verarbeiten sind, erklärt sich von selbst. Ganz anders bei einer stundenlangen Bergtour im unwegsamen Hochgebirge, bei der das Gehirn am Ende ein riesiges Datenvolumen aus den Sinnen in Unmengen von gezielten Impulse berechnet und an jeden der beteiligten Muskeln gefeuert haben wird.


Wirksamkeit je nach Größe des zu verarbeitenden Datenvolumens:

Hirnlos

Sehr gering ist die Leistung für das Gehirn bei eintönigen Bewegungen, die beim Ablauf nur wenig Korrekturbedarf erfordern. Eine solche, praktisch gehirnlose Bewegung, ist der Dauerlauf auf der Teerstraße.

Höchstleistung für das Gehirn

Die theoretisch mögliche Höchstleistung für das Gehirn löst dagegen eine Bewegung aus, bei der alle Muskeln zum Einsatz kommen und pro Sekunde die maximale Daten-Verarbeitungsgeschwindigkeit erforderlich ist, um den Bewegungsablauf unter Kontrolle zu halten.


1 Der Wikipedia-Beitrag zur Bewegungskontrolle ist eine hervorragende wissenschaftliche Grundlage für die Frage, wie durch gezieltes Training “geplante und ungeplante Bewegungen so ablaufen, dass deren beabsichtigtes Ziel sicher erreicht wird”. Ein sehr zu empfehlende Abhandlung für jeden, der sich des Themas “Demenzvermeidung durch Bewegung” annehmen will.

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3-7. Die Forschung und die WHO gemeinsam in der Pflicht


Kraft- und Ausdauersport, Dehnungs- und Faszienübungen sei allen empfohlen, die körperlich gesund bleiben wollen. Bei Empfehlungen dagegen, wie geistige Gesundheit zu erhalten ist, sollte sich Grundlegendes ändern. Statt weltweit die gleichen Rezepte zu empfehlen ist eine Differenzierung von Land zu Land nötig. Dies lässt sich einfach erklären: bei koordinativ anspruchsvollen Aktivitäten gibt es große regionale Unterschiede. In jedem Land treibt man aus historisch gewachsener Tradition heraus Sport auf eine andere Weise. Kraft und Ausdauer werden überall gleich trainiert, aber alles koordinativ Anspruchsvolle überall anders.


Länderspezifisch gibt es viele interessante Beispiele:
In Frankreich spielen alte Männer stundenlang
Boule. Da für braucht es eine gute Auge-Hand-Koordination.
In Deutschland geht man dafür gerne Kegeln und Stockschießen.


In China wird traditionell Tai Chi gepflegt, was Balance, Flexibilität und Koordination erfordert.

In Japan ist Kalligraphie, also die Kunst des schönen Schreibens mit Pinsel und Tinte, eine beliebte Beschäftigung. Sie erfordert Präzision, Konzentration, eine gut geschultes Auge und eine ruhige Hand.

Länderübergreifend sind die meisten aller Ballsportarten wie Tischtennis, Fußball, Volleyball, Baseball und Basketball verbreitet. Ihnen allen ist eigen, dass sie hohe Konzentration, Koordination, Rhythmus, Beweglichkeit und Teamarbeit erfordern.

In Indien hat Yoga eine Jahrtausende alte Tradition, wird aber auch länderübergreifend ausgeübt. So ist es auch überliefert in Nepal, Tibet, Thailand und Bali. Gefordert und gefördert werden dabei eine Vielzahl von koordinativen Fähigkeiten: Körperwahrnehmung, Gleichgewicht, Koordination, Flexibilität, Konzentration und Atmungskontrolle.

Als länderübergreifend in den westlichen Industrieländern kann beispielhaft das Golfspiel genannt werden. Es wird oft noch im Alter ausgeübt und fordert Gleichgewicht, eine Auge-Hand-Koordination, Rhythmusgefühl, Raumorientierung, Reaktionsfähigkeit und Körperwahrnehmung, um den Schwung korrekt zu steuern.

Weltweit überall, bis hinein in jedes Dorf, bei allen Festen, in Hinterhöfen und Ballsälen, gibt es, wenn Freude aufkommen soll, nur eines: Tanzen. Volkstänze, ob in Reihen oder im Kreis erfordern Beweglichkeit Konzentration, Rhythmusgefühl und Körperbeherrschung.

Das Ziel ist ein hehres

Die wissenschaftliche Forschung, will sie zu Ergebnissen kommen, wie weltweit der Demenz etwas entgegengesetzt werden kann, muss sich also differenzieren. Es braucht Studien in allen Regionen, die sich auf die länderspezifischen körperlich anspruchsvollen Aktivitäten konzentrieren, um daraus jene Erkenntnisse zu gewinnen, wie die Menschen eines jeden Landes im Alter geistig fit bleiben können. Die daraus gewonnen Ergebnisse werden dann der Weltgesundheitsorganisation übermittelt, die daraus ein Gesamtbild für alle Länder mit Vorschlägen erstellen könnte, wie sich die Menschen im Alter im jeweiligen Land vielseitig und koordinativ anspruchsvoll bewegen könnten.

Nur einmal angenommen …

3-6. Das Fazit aus den Studien

Weltweit in die falsche Richtung?

Durch meine vielfältigen sportlichen Aktivitäten ist mir mehr und mehr bewusst geworden, dass die Forschung in ihren Studien die unterschiedliche Wirkung von Bewegung zu wenig berücksichtigt. Jede Bewegung wirkt im Körper anders: Kraftsport macht starke Muskeln und stabile Knochen, Ausdauersport ein gesundes Herz und ein ausgeglichenes Gemüt, Dehnungsübungen machen gelenkig, Faszienübungen das Bindegewebe geschmeidig und einzig alles koordinativ Anspruchsvolle einen gesunden Geist. Natürlich, jede auch noch so kleine Bewegung muss vom Gehirn koordiniert werden, aber der Koordinatiosbedarf variiert von sehr gering (Kraftsport) bis sehr hoch (Koordinations- und Balanceübungen).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt explizit Kraft- und Ausdauertraining. So fraglich das erscheint, es hat eine einfache Ursache: durchwegs alle Studien wurden mit Probanden durchgeführt, die bereit waren, regelmäßig Kraft und Ausdauer zu trainieren und so stehen der WHO nur solche Studienergebnisse als Grundlage für ihre Empfehlungen zur Verfügung, die wenig Aussagekraft haben.

Ein Zirkelschluss1 rund um den Erdball

Was die WHO empfiehlt2

Einer Empfehlung der WHO entsprechend, wird in allen Ländern den alten Menschen jeweils wöchentlich 150 Minuten moderater Ausdauersport und 75 Minuten Krafttraining mittlerer Intensität empfohlen. In der Folge dieser Empfehlung ergibt das einen Zirkelschluss1, der über fünf Stationen einmal um den Erdball herum verläuft:


1 Ein Zirkelschluss ist ein logischer Fehler, bei dem die Prämisse einer Argumentation ihre eigene Schlussfolgerung voraussetzt. Das bedeutet, dass die Aussage, die bewiesen werden soll, stillschweigend in den Prämissen enthalten ist, wodurch das Argument im Kreis läuft und keinen externen Beweis bietet.

Beweisführung im Kreis

1. Wissenschaftliche Studien werden weltweit generell mit Teilnehmern durchgeführt, die Kraft- und Ausdauersport betreiben. 2. Die Erkenntnisse daraus werden von der WHO im Ergebnis übernommen und dann allen Mitgliedsländern als Anregung für ihre Bürger empfohlen. 3. Die Gesundheitsresorts dieser Länder ermuntern ihre Senioren, sich gemäß den Vorgaben der WHO zu bewegen. 4. In vielen Ländern werden diese Vorgaben der WHO von den Menschen befolgt. 5. Zuletzt werden dann für weitere Studien in allen Ländern wieder Teilnehmer verpflichtet, die ihre Kraft- und Ausdauer trainieren und so beginnt der Kreislauf von Neuem.

Mit den heutigen Möglichkeiten der KI kann man die Probe auf’s Exempel machen. Auf die Frage, „was empfehlen die Gesundheitsbehörden zur Demenzvermeidung in Saudi-Arabien“ bekommt man zur Antwort:

„Die Gesundheitsbehörden weltweit, einschließlich Saudi-Arabien, empfehlen Maßnahmen zur Demenzprävention, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind einige der wichtigsten Schritte zur Reduzierung des Demenzrisikos: Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung, wie aerobes Training oder Krafttraining, kann die kognitiven Funktionen verbessern und das Demenzrisiko senken. Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung, wie die Mittelmeerdiät, wird empfohlen, da sie reich an Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten ist. Blutdruck- und Blutzuckerkontrolle: Die Kontrolle von Hypertonie und Diabetes ist entscheidend, da diese Erkrankungen mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden sind. Tabakentzug und Alkoholreduktion: Der Verzicht auf Rauchen und ein moderater Alkoholkonsum können ebenfalls helfen. Kognitive Stimulation: Aktivitäten, die das Gehirn herausfordern, wie das Erlernen neuer Fähigkeiten oder das Lösen von Rätseln, sind hilfreich. Diese Empfehlungen sind allgemein gültig und können auch in Saudi-Arabien angewendet werden.“

Die Folge dieses logischen Fehlers in der Beweisführung sind weiter steigende Pflegefälle überall auf der Welt. Wollte man aus diesem fatalen Zirkelschluss ausbrechen, müsste wissenschaftliche Forschung von den vielen Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen, mehr als bisher alles koordinativ Anspruchsvolle in den Blick nehmen und die Erkenntnisse daraus der WHO empfehlen.

Der Lancet Report mit den Empfehlungen der WHO kann eingesehen werden unter: https://www.thelancet.com/journals/langlo/article/PIIS2214-109X(24)00150-5/fulltext

Warum haben die Studien ihr erklärtes Ziel verfehlt?

Man weiß viel darüber, wie man Demenz vermeiden kann. Man weiß nur nicht, warum es trotzdem nicht gelingt, die Zunahme von Demenz bedingt Pflegebedürftigen zu stoppen. Um das zu ergründen, sollte man sich die Studien einmal genauer ansehen. Weltweit haben diese aus unterschiedlichen Gründen ihr erklärtes Ziel verfehlt. Drei Erklärungsversuche:

1. Für körperlich Eingeschränkte wertlos

Alle Studien zur Altersdemenz gehen an der Lebenswirklichkeit vorbei. Sie gehen davon aus, dass die Beweglichkeit bis zuletzt erhalten bleibt. Mit zunehmendem Alter nimmt sie aber naturgemäß ab. Weltweit haben alle Studien ihre Untersuchungen aber so angelegt, dass die Teilnehmer sich regelmäßig sportlich bewegen mussten. Die Ergebnisse daraus sind für körperlich eingeschränkte Menschen – und das sind mehr als 50 Prozent der über 70-jährigen – wertlos.

2. Ausdauertraining für’s Gehirn ungeeignet

Um körperlich und geistig gesund zu bleiben, wird von den Ärzten und allen Ratgebern empfohlen, moderat und altersgemäß die Ausdauer zu trainieren. Wie bereits dargestellt, sind Ausdauersport und Krafttraining aber denkbar ungeeignet, um geistig fit zu bleiben. So jedenfalls kann es nicht gelingen, der Demenz etwas entgegen zu setzen.

3. Einzelne Aktivitäten haben nur eine begrenzte Wirkung

Viele weitere Aktivitäten, darunter auch koordinativ anspruchsvolle, wurden auf ihre Wirksamkeit zur Demenzvermeidung untersucht und bei ihnen allen hat man festgestellt, dass sie zur Erhaltung geistiger Fitness Wirkung zeigen. Allerdings, sie wirken nur sehr eingeschränkt und mit einer allein ist nichts gewonnen. Weitere solcher Studien mit einzelnen Aktivitäten sind entbehrlich, da es sich beim Gehirn ähnlich verhält, wie bei der Muskulatur. Erst wenn alle Muskelgruppen, also die der Beine, des Beckenbodens, des Bauches, der Brust und des Rückens sowie der Arme stark sind, spricht man von einer starken Muskulatur.

Nachfolgend zwei mögliche Studienansätze, die eher als Ausdauerstudien Erfolg versprechen.

  • Multimodal mit Schwerpunkt auf koordinativ anspruchsvoller Bewegung

Die Forschung, wenn sie durch eine neue Studie das Zusammenwirken vielseitiger Bewegungsaktivitäten untersuchen wollte, müsste also einen neuen Ansatz wählen. Sie müsste ebenso wie die Finger- oder die Agewell-Studie einen multimodalen Ansatz wählen. Multimodal aber in Form von mehreren Bewegungsaktivitäten. Also statt sechs Module gesund leben und nur eines mit Bewegung sollte es umgekehrt sein: sechs Module Bewegung und eines mit gesund leben .


Jeder wählt für sich

Konkret könnten das bezüglich Bewegung sechs verschiedene, von den Teilnehmern selbst gewählte Arten von Aktivitäten sein, die im Wochenrhythmus ausgeübt werden. Möglichst sechs Aktivitäten, die das Gehirn auf ganz unterschiedliche Weise fordern: zum Beispiel Tanzen, Wassergymnastik, Balanceübungen, Waldspaziergänge, Musizieren und Tischtennis.

Die Forschung würde damit in den Blick nehmen, wie sich ein ganzer Reigen von komplex zu koordinierenden Bewegungsabläufen, die regelmäßig ausgeübt werden, in den neuronalen Schaltkreisen auswirkt.


  • Vergleichsstudie: Aerobic-Exercise vs. Brain-Exercise

Für die Frage, wie durch Bewegung Demenz zu vermeiden wäre, könnten die Ergebnisse einer Vergleichsstudie von großer Aussagekraft sein:

Zwei Gruppen

Die Teilnehmer würden in zwei Gruppen eingeteilt. Eine mit Ausdauersportlern (aerobic exercise) und ein zweite mit Koordinativsportlern (brain exercise). Die Ausdauersportler trainieren so wie es von der WHO empfohlen wird und die Koordinativsportler trainieren wie im Beispiel eins mit regelmäßig sechs verschiedenen koordinativ anspruchsvollen Aktivitäten.

Zu erwarten ist, wie schon der Name sagt, dass die Koordinativsportler (brain-exercise) besser abschneiden und diese Teilnehmer über den Studienzeitraum das Fortschreiten der Demenz spürbar verzögern oder gar stoppen können. Sollte sich das erweisen, wäre das für alte Menschen eine äußerst wichtige Information. Zumindest für jene, die bereit sind, für ihre geistige Gesundheit sportlich aktiv zu bleiben.

Die körperlichen Fähigkeiten alter Menschen: Sich koordinativ anspruchsvoll regelmäßig und vielseitig zu bewegen wird weltweit nirgendwo empfohlen. Allenfalls ambitionierte kognitive Herausforderungen werden angeraten, aber bezüglich Bewegung wird nur wenig Anspruchsvolles gefordert. Das mag den (vermeintlich geringen) körperlichen Fähigkeiten der Menschen im Alter geschuldet sein, nicht aber dem Anspruch, Demenz nachhaltig zu vermeiden.

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