2-8. Dem Gehirn durch Regelmäßigkeit eine Richtung vorgeben

Neuroplastologe in eigner Sache werden

Das Gehirn ist ein äußerst flexibles, sich ständig umformendes Netzwerk, das sich in Folge der täglichen Impulse aus dem sich bewegenden Körper durch Um- und Neuschaltungen so anpasst, dass es jederzeit die gewünschten Bewegungsabläufe ausüben kann. Bildlich gesprochen verändert das Gehirn sein Netz durch körperliche Bewegung so wie eine Wolke am Himmel, die einer leichten Brise ausgesetzt ist und dadurch ihre äußere Form und innere Struktur verändert.

Jeden Tag baut das Gehirn Verbindungen ab, weil sie nicht gebraucht werden oder weil sie in Folge eines ungesunden Lebens kaputt gehen. Jeden Tag schafft es aber auch neue Verbindungen und erneuert kaputt gegangene. In welche Richtung es geht, das wird ihm vom Organismus vorgegeben, das Gehirn führt es nur aus. Ob dabei das neuronale Netz langsam schwindet oder sich vergrößert und feiner gesponnen wird, ist nicht seine Sache, sondern die des Körpers.


Stimmt die Richtung?

Neuroplastologen sind Spezialisten, die dem Gehirn eines anderen Menschen zu seiner Gesundung eine Richtung vorgeben wollen. Es sind Wissenschaftler und Therapeuten, die kennen die Möglichkeiten der Neuroplastizität und setzen sie gezielt zur Erneuerung des Gehirns von Patienten ein.

Wollte man von diesen Therapeuten lernen, um für sich selbst dem Gehirn eine Richtung vorzugeben, muss man sich seiner Vorlieben bewusst werden: was kann ich, welche sportlichen Aktivitäten mache ich gerne und welche Bewegung macht mir Freude? Gleichzeitig werden aber auch die Defizite definiert: wo habe ich Schwierigkeiten, welche Aktivitäten und Übungen fallen mir schwer und was kann ich nicht mehr rhythmisch und fließend ausführen.


Die Regelmäßigkeit macht’s

Demenzvermeidung nach einem sorglos geführten Leben ist möglich. Es sind jene sportlichen Aktivitäten, die, wenn sie regelmäßig ausgeführt werden, ein starkes neuronales Netz herausbilden. So stark, dass körperliche Bewegung sicherer wird. Ganz egal, ob sich Kinder etwas aneignen wollen oder ob im Alter ein geschädigtes Netz erneuert werden soll, erst wenn der Bewegungsablauf „sitzt“, also automatisch abläuft, dann ist das ein gutes Zeichen für ein starkes neuronales Netz. Ein Netz, das bei Kindern die Voraussetzung für die Schule darstellt und im Alter die Basis für geistige Gesundheit.

Um sich das persönliche Bewegungsprogramm zusammenzustellen, wäre es hilfreich, sich fachlich unterstützen zu lassen. Eigentlich sollte der Hausarzt behilflich sein können, einen geeigneten Bewegungstherapeuten zu finden. Oder man wendet sich an ein Zentrum für klinische Neuroplastizität (ZKNP). Dort in den Therapieräumen sind die Spezialisten für „Gehirnerneuerung durch Bewegung“ zu finden. Wohin man sich wendet ist das eine, das andere ist, man muss motiviert sein. Motiviert, ab sofort regelmäßig dran zu bleiben.

Das Verb „neuroplastizieren“ steht in keinem Wörterbuch. Dabei macht unser Gehirn jede Nacht nichts anderes und sorgt mit dieser Tätigkeit dafür, dass es gesund und gebrauchsfähig bleibt.

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2-7. Was ist Neuroplastizität?


Die Fähigkeit des Gehirns, sich lebenslang anzupassen

Neuroplastizität ist der unbedingte Wille des Gehirns, Bewegung zu ermöglichen. Sie bewirkt die Erneuerung geschädigter Netzverbindungen durch Herstellung neuer Verbindungen um so die Funktionsfähigkeit der Schaltkreises zur Ausübung von Bewegungsablaufen zu erhalten. Diese Wirkweise ermöglicht geistige Gesundheit im Alter. Der wissenschaftliche Ausdruck „Neuroplastizität“ bezeichnet jenes Phänomen, das sich in den Gehirnen eines jeden Lebewesens tagtäglich beobachten lässt. Wortwörtlich könnte man es mit „Formbarkeit des Nervensystems“ übersetzen. Das riesige neuronale Netzgeflecht lässt sich demnach jederzeit den erforderlichen Gegebenheiten anpassen (formen) und dabei gibt es zwei unterschiedliche Formen:

1. Alltägliche Neuroplastizität: sie findet unbewusst statt und beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich durch neue Erfahrungen, Lernen oder nach Verletzungen strukturell und funktionell zu verändern. Das Gehirn kann dabei neue neuronale Verbindungen (Synapsen) bilden, bestehende stärken oder beschädigte Bereiche durch Umstrukturierung kompensieren. Diese Anpassungsfähigkeit bleibt auch im Erwachsenenalter und bis ins hohe Alter erhalten. Besonders relevant ist, dass Neuroplastizität nicht nur durch kognitives Training, sondern vor allem durch körperliche Aktivität gefördert wird, die das Gehirn zu komplexer Koordination herausfordert. Studien zeigen, dass solche Aktivitäten die Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese), die Bildung neuer Gefäße (Angiogenese) und die Entstehung neuer Kontaktstellen zwischen Nervenzellen (Synaptogenese) anregen können. (Quelle: mindbody-hub.com)

2. Sportinduzierte Neuroplastizität: sie wird bewusst herbeigeführt und kann von Menschen mit MCI zielgerichtet für die Demenzprävention genutzt werden. Aktuelle Forschungsergebnisse betonen, dass multidimensionale Bewegungsformen – also Aktivitäten, die Gleichgewicht, Timing, räumliche Orientierung und Feinmotorik gleichzeitig erfordern – besonders wirksam sind. Diese stimulieren verschiedene Gehirnregionen und fördern die Vernetzung neuronaler Netze. Einseitige Aktivitäten wie reines Ausdauertraining reichen dagegen nicht aus, um nachhaltige Effekte zu erzielen. Vielmehr sind kombinierte, koordinativ anspruchsvolle Bewegungen (z. B. Tanzen, Tischtennis, Jonglieren) entscheidend, da sie das Gehirn vor neue, unvorhersehbare Herausforderungen stellen und so die Neuroplastizität maximieren.(Quelle: Zeitschrift Sportmedizin)

Der Schlüssel zur Erneuerung des geschädigten Gehirns

Bei rein kognitiven Gehirnaktivitäten werden bestehende Verbindungen „nur“ gestärkt, bei Bewegung und speziell wenn sie das Gehirn zu komplexer Koordination fordert, dagegen wirkt sie gehirnerneuernd. Speziell im Alter, wenn das Leben im Gehirn Schäden hinterlassen hat, sollte man deshalb die Wirkweise der Neuroplastzität kennen.

Das Gehirn hat im Übrigen die besondere Eigenschaft sich nicht irgendwie, sondern stets nach den individuellen Erforderlichkeiten des „Benutzers“ umzuformen und welche Erforderlichkeiten das sind, entscheidet sich an Hand der Lebenssituation des Einzelnen. Ob das Kleinkind gehen oder der Mensch im Alter Tanzschritte lernen will, das Hirn “formt” die Schaltkreise entsprechend. Und mehr noch, das Gehirn ist nicht nur in der Lage sich neu zu verdrahten, dies ist sogar seine normale Funktionsweise.

Gallertartige Masse – luftiges Seidentuch?

Das Gehirn ist eigentlich eine feste (gallertartige) Masse. Aber das Geistige, das darin stattfindet, gleicht eher einem luftigen Seidentuch (Bild oben). Und so wie ein Tuch sich mit jedem Lufthauch verändert, so verändert sich auch das Geistige, wenn es vom sich bewegenden Körper Impulse bekommt. Möglichst jene Impulse, die durch komplex zu koordinierenden Aktivitäten, wie das Tanzen, Yoga oder Musizieren entstehen.


Grundpfeiler dieses Konzepts sind fünf Komponenten: Die Grundpfeiler der Neuroplastizität: 1. Motivation (ein fester Wille) 2. Repetition (täglich/wöchentlich im Rhythmus) 3. Stimulation (einen/e Sportsfreund/in) 4. Fitness (Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit) 5. Konsolidierung (Schlaf).


Wie findet das Hirn die winzigen Störungen im Netz?

Für das Gehirn ist es möglich, die geschädigten Bereiche auszumachen. Hierzu gibt es eine bestimmte Zellgruppe, die sog. Mikroglia fungiert gleichsam als eine „Polizei“ im Gehirn, die geschädigte Areal aufspürt, sie zunächst versucht zu isolieren und dann zu reparieren und mit Hilfe anderer Zellen zu erneuern. Fündig wird es, indem man sich auf komplex zu koordinierende Arten zu bewegen versucht. Wenn man sich bewegt und es klappt ohne weiteres, dann ist das Netz, das für den Ablauf dieser Bewegung “zuständig” ist, in Takt. Wenn es aber ein Bewegungsablauf ist, bei dessen Ablauf es nicht so gut klappen will, dann sind die Netzverbindungen lückenhaft. Ganz einfach: ein intaktes neuronales Netz im Gehirn macht einen intakten Bewegungsablauf und umgekehrt: ein gestörter, nicht intakter Bewegungsablauf zeugt von einem lückenhaften neuronalen Netz. Um ein solches wieder herzustellen, ist es erforderlich, diese Bewegungsmuster auszuüben. Und zwar so lange, bis das Netz wieder lückenlos ist. Hierbei steht Bewegung neben der körperlichen auch für die geistige Bewegung, was immer zu berücksichtigen ist, wenn kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt sind.

Zeit für die Anwendung in der Demenzvorsorge

Von der Praxis der Behandlung in den Kliniken zur individuellen Demenzprophylaxe ist es nur ein Schritt:

Um von der Praxis der Behandlung von Schlaganfallpatienten zu erfolgreichen Ansätzen bei der individuellen Demenzprophylaxe zu gelangen, ist es nur ein Schritt. Statt einen relativ großen geschädigten Bereich zu ersetzen, müssen bei der Demenz unzählige winzige weit verstreute Plaques „repariert“ werden. Aber auch wenn es sich um zwei ganz unterschiedliche Arten von Schäden im Gehirn handelt, der Ansatz sie auszubessern ist beides mal der gleiche: Gehirnerneuerung durch zielgerichtete Bewegung! Und für die Menschen wäre von großem Nutzen, wenn Forschung die vielfältigen Möglichkeiten des stets wandlungsfähigen Gehirns zur Vermeidung von Alzheimer untersuchte.

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2-6. Bei der Schlaganfallbehandlung zeigt es sich:

Zerstörtes kann durch Bewegung ersetzt werden


Schadhafte Bereiche im Gehirn zu therapieren und die Patienten wieder in die Lage zu versetzen, ihr gewohntes Leben wie vor dem Schlaganfall zu führen ist tägliche Praxis in den Reha-Einrichtungen. Jährlich erleiden rund 270 000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall in Form eines Hirninfarkts oder einer Hirnblutung. In beiden Fällen ist die Folge, dass bestimmte Hirnareale nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden. Ganze Bereiche von Nervenzellen und Verbindungen sterben ab und können weder geheilt noch reaktiviert werden, wenn nicht innerhalb der ersten Stunden nach Auftreten der Symptome eine entsprechende Behandlung durchgeführt wird, die in Krankenhäusern mit spezialisierter Schlaganfallstation zur Verfügung steht. Da der Schlaganfall – anders als der Herzinfarkt – in der Regel keine Schmerzen verursacht, kommen viele Menschen zu spät in die Klinik. Als Folge z.B. eines kompletten Schlaganfalls, der eine größere Hirnregion betrifft, sind dann über 2 Milliarden Nervenzellen, 8,5 Billionen Synapsen und ca. 7200 km Nervenfasern zugrunde gegangen, was einer Alterung des Gehirns von über 25 Jahren entspricht (JL Saver; Stroke. 2006 Jan;37(1):263-6.).

Gehen lernen nach dem Schlaganfall – anstrengend, aber möglich

Wenn die geschädigten Bereiche und die unzähligen zerstörten Verbindungen nicht mehr zur Verfügung stehen und so einfaches wie Gehen unmöglich geworden ist, dann gibt es nur eines: die ausgefallenen Funktionen müssen von anderen Hirnarealen und neu arrangierten Netzwerken übernommen werden. Die Grundlage dafür ist also die Bildung neuer Nervenverbindungen über auswachsende Fortsätze und Synapsen in den gesunden Hirnarealen. Dieser Prozess benötigt Trainingsfleiß, viel Zeit und verläuft erst einmal “chaotisch”. Durch die täglichen Übungseinheiten bilden sich viele neue Verknüpfungen, die aber wieder verkümmern, wenn sie nicht ständig erneut aktiviert werden.


Idealerweise wird durch ständiges Training der gestörten Funktionen erreicht, dass die “sinnvollen” Verbindungen aktiviert und stabilisiert werden.
Idealerweise wird durch ständiges Training der gestörten Funktionen erreicht, dass die “sinnvollen” Verbindungen aktiviert und stabilisiert werden.



Da das Gehirn genügend gesunde Nervenzellen hat und ein Leben lang lernfähig bleibt, können die Betroffenen zumindest einen Teil der Verluste ausgleichen. Nur ein Drittel der Patienten erholt sich vollständig. Bei anderen bleiben entweder weitreichende Behinderungen oder sie sterben in der Folge des Schlaganfalls. Aber, und das ist die positive Nachricht, anders als früher kann vielen geholfen werden und heute kennen die speziell ausgebildeten Therapeuten die Methoden dafür. Dabei nutzen sie die seit einigen Jahren bekannten Erkenntnisse über die „Neuroplastizität“.

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2-5. Die drei Kategorien der körperlichen Bewegung:

Netzbau – Netzerhalt – Netzerneuerung

Menschen im Alter, die ihre geistige Gesundheit nicht dem Zufall überlassen wollen, haben ein großes Interesse daran, welche Arten der Bewegung für ihre spezielle Situation besonders geeignet sind. Um als Einzelner besser verstehen zu können, wie Demenz zu verhindern sei, sollten deshalb von den Fachleute die unzähligen Arten der Bewegung in Kategorien eingeteilt werden. In Kategorien bezüglich ihrer Wirkung im Gehirn und dafür bieten sich exakt drei Kategorien an:

1. Bewegung die neue Netze baut

Beschreibung: Die Kategorie Netzbau kann man auch als die „Bewegung des Kindes“ bezeichnen. Es lernt alles neu und schafft sich damit die neuronalen Schaltkreise für das ganze Leben: Gehen, Radfahren, auf Bäume klettern, Balancieren, Tanzen und so vieles andere. Je mehr und je feiner die Netze gesponnen werden, desto leichter geht dann das Lernen.

Im Alter ist der Neubau von Netzen durch das Erlernen von Bewegung, die man nie konnte, ungemein schwieriger, aber möglich. Mit 60 Jahren mit dem Yoga anzufangen, sich auf der Slackline zu versuchen oder Tennis ganz neu zu erlernen, kostet Überwindung und viel Übung.

Wirkung:Die Wirkung von Netzbau im Gehirn ist in jedem Alter die gleiche: es werden neuronale Schaltverbindungen gebaut, die es zuvor nicht gab. Gebaut werden sie vom Gehirn, um die entsprechenden Muskeln so zu koordinieren, dass die Bewegungen wie gewünscht ausgeführt werden können. Für die kognitiven Eigenschaften bedeuten die neu geschaffenen Netze, dass der Horizont erweitert und der Geist beflügelt wird.

Anwendung:Netzbau betreiben Kinder automatisch, denn sie haben den natürlichen Drang sich zu bewegen und sich auszuprobieren. Weil dieser natürliche Drang mit zunehmenden Alter nachlässt, sollten alte Menschen sich stets die positive Wirkung der Bewegung auf Körper und Geist vergegenwärtigen.

2. Bewegung die bestehende Netze erhält

Beschreibung: Netzerhalt ist die Bewegung, die unsere Netze im alltäglichen Leben gesund erhält. Diese Bewegung der sechs Jahrzehnte zwischen Kindheit und Alter kann man auch als Kategorie „Bewegung des Alltags“ bezeichnen. Sie bewirkt im Detail den Erhalt und die Stabilität aller je gebauten Schaltkreise. Nur was regelmäßig genutzt wird, bleibt erhalten: „use it or lose it“.

Zum Netzerhalt braucht es also nur, dran zu bleiben und auch mit zunehmendem Alter wie bisher seinen täglichen Aktivitäten und den gewohnten sportlichen Herausforderungen nachzugehen.

Wirkung: Die Wirkung der alltäglichen Aktivitäten im Gehirn ist eine Stabilisierung der bestehenden neuronalen Netzverbindungen. Durch die ständigen Herausforderungen für das Gehirn zur Koordination von Bewegung und auch zur Lösung von geistigen Aufgaben bleiben die Schaltkreise im Kopf intakt. Nicht mehr und nicht weniger.

Anwendung:Bei der Bewegungsart Netzerhalt muss eine Einschränkung gemacht werden. Geeignet dafür, auch im Alter „nur“ Netzerhalt zu betreiben, sind ausschließlich solche Menschen, die gesund gelebt haben und deren Netze intakt sind.

3. Bewegung die geschädigte Netze erneuert

Beschreibung:Netzerneuerung ist die Bewegung, die unsere neuronalen Schaltkreise im Alter zu reparieren vermag. Als die Kategorie „Bewegung des Alters“ könnte man das bezeichnen, was im Alter wichtig wird. Spätestens mit Beginn der Rente geht es um’s erneuern des Gehirns..

So sorglos, wie man all die Jahre gelebt hat, hat es Spuren im Kopf hinterlassen. Bei manchen nur ganz wenige, bei anderen aber deutliche. Damit sich diese nicht zum Problem Altersdemenz auswachsen, gilt es, sich so zu bewegen, dass Netzerneuerung stattfindet.

Wirkung: Bei der Netzerneuerung wird das Gehirn so zur Koordination der Bewegung herausgefordert, dass es Schädigungen in den neuronalen Netzen behebt. Die bestehenden Schaltkreise werden nach Möglichkeit genutzt und überall dort, wo es Lücken gibt, wird das Gehirn gezwungen, neue Wege zu finden. Bewegung, die man auch als „heilsamen Bewegungsstress“ bezeichnen könnte. Was man an sportlicher Bewegung schon einmal gekonnt hat, lässt sich in einer Mischung an Herausforderungen wieder erlernen. Manches geht erst wieder nach langem intensiven Training, manches kommt wieder, allerdings erst mit kurzen aber regelmäßigen Einheiten.

Anwendung: Netzerneuerung ist allen dringend anzuraten ist, die sorglos gelebt und damit nicht nur im Körper, sondern auch Schäden im Gehirn verursacht haben. So können auch sie im hohen Alter noch geistige Fitness erhalten. Beides geht nicht: ungesund leben und im Alter träge werden.


Grafik Demenzgefahr

Der Bewegungsdrang (schwarze Linie) hält sich wenige Jahre und lässt dann Jahr für Jahr stetig nach. Jeder kennt das. Wenn dann noch das reale Leben zunehmend im Gehirn seine Spuren hinterlässt (rote Linie), dann kreuzen sich einmal die Linien und es öffnet sich die Schere (gelbes Feld) und für die geistige Gesundheit wird es zunehmend bedrohlich.


Spätestens aber mit 60 muss man sich entscheiden

Spätestens im Alter von 60 Jahren sollte man sich zum Thema Demenz Gedanken machen und sich Fragen stellen: Habe ich gesund gelebt oder durch Alkohol, Nikotin, Stress, wenig Bewegung und ungesundes Essen meinem Gehirn zu viel zugemutet? Gibt es Anzeichen von Demenz? Bewege ich mich sicher oder habe ich Probleme, die Balance zu halten? Ist die Vergesslichkeit noch vertretbar oder schon bedenklich? Viele Fragen, die man sich ehrlich beantworten sollte.

Je nach dem, wie die Diagnose für die eigene geistige Gesundheit ausfällt, mit Hilfe der Kategorien der Bewegung lässt sich stets eine geeignete Therapie mit täglichen Übungen finden. Wer im Leben vielen Risikofaktoren ausgesetzt war oder bereits Anzeichen von Demenz verspürt, sollte sich bei der Zusammensetzung der Aktivitäten einiges zumuten und sich besonders an die Kategorie Netzerneuerung halten. Wer gesund gelebt hat, kann relativ gelassen bleiben, bei ihm reicht es, bei der „Bewegung des Alltags“ dran zu bleiben. Wer den Ehrgeiz aufbringen möchte, sein geistiges Potenzial auch im Alter noch zu steigern, dem ist die „Bewegung des Kindes“, also Netzbau und Netzerweiterung anzuraten.

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2-4. Essen für den Kopf:

wie Bewegung und Ernährung zusammen spielen

Gleich vorweg: auch durch noch so gesunde Ernährung kann gestörte neuronale Netze im Gehirn nicht wieder herstellen. Für das Reparieren der Schäden ist Bewegung der entscheidende Ansatz. Welche Funktion hat dann die Ernährung im Zusammenhang mit geistiger Gesundheit? Dazu stellt sich zuerst die Frage, welche Funktion die Ernährung auf die Vorgänge im Gehirn hat.

Die Nervenzellen in unserer Schaltzentrale kommunizieren über die Synapsen miteinander. Bei jeder Muskelbewegung und jedem Denkvorgang findet zwischen den Hirnzellen ein intensiver Austausch statt. Zuerst ist es ein elektrischer Stromimpuls, mit dem die Nervenzelle einen Botenstoff (Neurotransmitter) aussendet. Damit wird der synaptische Spalt zur nächsten Nervenzelle überwunden und in rasender Geschwindigkeit werden ganze Netzwerke in Erregung versetzt. Am Ende ergibt das einen Gedanken im Kopf oder eine Bewegung des Körpers.

Da die Botenstoffe aus Eiweißmolekülen bestehen, die mit der Ernährung zugeführt werden, sollten wir uns möglichst so ernähren, dass die Depots der Botenstoffe immer gut gefüllt sind, aber das Gehirn durch das Essen keinen Schaden erleidet. Weil das Gehirn nur 2 % unserer Körpermasse ausmacht, aber 25 % unserer Nahrungsenergie verbraucht, kommt es darauf an, möglichst die Nahrung aufzunehmen, die ausreichend Energie auf gesunde Weise zur Verfügung stellt. 1

Drei Möglichkeiten der Energieaufnahme: Kohlehydrate, Eiweiß und Fett

Die drei Möglichkeiten, dem Körper Energie zuzuführen sind: Kohlehydrate, Eiweiß und Fett. Eine möglichst ausgewogene Ernährung bedeutet zuerst einmal, diese in geeigneter Weise zusammen zu setzen. Die ideale Zusammensetzung ist nicht bei jedem gleich: wer viel Sport treibt, benötigt eine andere als jemand, der sich wenig bewegt und wieder eine andere, wenn man abnehmen will. Sobald man für sich die Mischung der täglichen Energiezufuhr gefunden hat, ergibt sich die Frage, in welcher Form die Kohlehydrate, Eiweiße und Fette aufgenommen werden:

Kohlehydrate: Hauptenergielieferant

Kohlehydrate sind die weitest verbreitete Energiequelle. Sie sind lange haltbar, nährstoffreich (Mikronährstoffe) und der wichtigste Energielieferant in der menschlichen Ernährung. Pro Gramm werden dem Körper 4 kcal zugeführt. Bezüglich der Qualität stehen sich raffinierter Zucker und vollwertige, komplexe Kohlehydrate gegenüber. Eine vollwertige Mischkost sollte, so die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) mehr als 50% der Energiezufuhr in Form von Kohlehydraten enthalten. Und zu beachten ist, Kohlehydrate müssen täglich aufgenommen werden, weil der Körper sie nicht für länger speichern kann.

Energie für die Regsamkeit

Auswählen kann man aus einer Vielzahl an Getreidesorten und bevorzugen sollte man Brot, Nudeln und Reis aus Vollkorn. Kartoffeln spielen bei uns eine große Rolle. Bei Kohlehydraten in Form von Zucker ist der Fruchtzucker im Obst dem raffinierten Zucker der Ernährungsindustrie vorzuziehen.

Mit einem gesunden Müsli mit Hafer, Dinkel- und Buchweizenflocken und Zucker in Form von frischem Obst ist für den Tag schon viel gewonnen.

Eiweiß: für Knochen, Muskulatur, Haut und Haare

Eiweiß ist nach Wasser der zweithäufigste Nährstoff im Körper. Pro Gramm Eiweiß werden 4 kcal Energie aufgenommen. Zuständig ist Eiweiß für die Bildung von Knochen, Muskulatur, Haut, Nägeln, Haaren, Transportproteinen, Blutkörperchen und das Wachstum und für ein stabiles Immunsystem. Auch beim Eiweiß ist die tägliche Zufuhr notwendig, weil es im Körper ständig auf-, ab und umgebaut wird. Zehn bis fünfzehn Prozent der täglichen Energiezufuhr sollten bei Erwachsenen vom Eiweiß kommen und hier ist auch wieder zwischen der gesunden und ungesunden Form zu unterscheiden.

Zur Auswahl für die Eiweißaufnahme stehen tierische und pflanzliche Quellen. Fisch, Geflügel und Eier sind dem roten Fleisch vorzuziehen und magere Eiweißsorten sind besser als fettreiche. Bei den pflanzlichen Quellen für Eiweiß sind besonders die Hülsenfrüchte zu erwähnen. Sie sind die Klassiker unter den pflanzlichen Eiweißquellen: Bohnen, Erbsen, Linsen und Lupinen.

Fette: sparsam verwenden

Als Energielieferant werden die Fette für viele Körperfunkionen benötigt: für die Gehirnentwicklung, die Immunabwehr, den Wärmeschutz, zur Schutzfunktion der Organe, um fettlösliche Vitamine aufzuspalten und nicht zuletzt als Geschmacksstoff.Fett ist der energiereichste Nährstoff in der Ernährung. Pro Gramm werden 9 kcal zugeführt und es sollte nur sparsam verwendet werden. Fette sind deshalb eher geeignet für die wenig intensiven Alltagsbelastungen. Wenn Sportler oder auch Nichtsportler zu fettreich essen, dann sind die Folgen oft gravierend. Erhöhte Fettzufuhr gilt als Auslöser für Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten, Krebs, Altersdemenz.

Bei den Fetten unterscheidet man die (in der Regel) gesunden pflanzlichen Fette von den (in der Regel) ungesunden tierischen Fetten. „In der Regel“ deshalb, weil z.B. Kokosfett eher ungesund und das Fett im Fisch eher gesund ist. Und unterschieden werden die Fette und Öle auch nach den ungesättigten, gesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Letztere sind ungesättigten Fettsäuren vorzuziehen.

  • Getränke“ stehen als größte Lebensmittelgruppe mit einer täglichen Trinkmenge von rund 1,5 Litern im Zentrum des DGE-Ernährungskreises
  • Pflanzliche Lebensmittel wie „Obst und Gemüse“, „Hülsenfrüchte und Nüsse“ und „Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln“ liefern Kohlenhydrate, Eiweiß, Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Sie sind die Basis einer gesunden Lebensmittelauswahl.
  • Bei der Gruppe „Öle und Fette“ ist vor allem die Qualität entscheidend. Pflanzliche Öle liefern wertvolle ungesättigte Fettsäuren und Vitamin E.
  • Tierische Lebensmittel aus der Gruppe „Milch und Milchprodukte“ sowie der Gruppe „Fleisch, Wurst, Fisch und Eier“ ergänzen in kleinen Portionen den Speiseplan.

Quelle: https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/gut-essen-und-trinken/dge-ernaehrungskreis/


Flüssigkeit: Leitungswasser aus dem Hahn!

Wasser (H2O)ist für den Körper ein wichtiger Nährstoff , denn er besteht selbst zu zwei Dritteln aus Wasser. Zu viel Wasser zu verlieren ist gefährlich für die Gesundheit und beeinträchtigt die Leistung. Ausreichend trinken ist wichtig für das Elektrolytgleichgewicht. Bei den Elektrolyten unterscheidet man zwischen den Kationen (Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium) und Anionen (Chlor, Bikarbonat, Phosphat, Protein).

Das Wasser im Körper transportiert die Nährstoffe, reguliert die Temperatur, reinigt den Körper und sorgt für genügend Blutvolumen. Auf der anderen Seite leidet der Körper bei zu viel Wasserverlust (Dehydrierung) unter Leistungsverlust, verminderter Erholungsfähigkeit und bezüglich der Gesundheit können Gallen- oder Nierensteine und Harnleiterinfektionen entstehen, sowie der Darm geschädigt werden. Und im Weiteren läßt die Konzentration nach und die Herzfrequenz steigt.

Die Mindestmenge die man trinken sollte, ist abhängig von Alter, Geschlecht, Körpergröße und der Zusammensetzung (Muskeln, Fett, Knochen). Bei der Aufnahme von Flüssigkeit gilt es, einige Grundsätze beachten. Vor allen Dingen sind die stark zuckerhaltigen Getränke zu meiden. Ebenso der Alkohol. Wasser dagegen ist immer gut. Es dient als Träger für die Aufnahme von essentiellen Nährstoffen um damit das Elektrolythgleichgewicht im Körper zu erhalten. Beim Sport empfehlen sich die isotonischen Getränke. Einzig Natrium kann als Nahrungsergänzungsmittel beigefügt werden. Alle anderen Zusatzstoffe nimmt der Körper ausreichend über die Nahrung auf und sie schaden eher, als dass sie nutzen.

Ergänzende Ernährungsgrundsätze:
  • Weniger essen: in der Regel sind wir zu dick
  • Mehr trinken: Leitungswasser bevorzugen
  • Selber kochen: zu Hause isst man meist gesünder als im Wirtshaus
  • Bewusst einkaufen: frische Produkte vom Wochenmarkt sind den verarbeiteten vom Supermarkt vorzuziehen
  • Essenszeit: am Morgen mehr, am Abend wenig essen
  • Risikofaktoren meiden: raffinierter Zucker, gehärtete Fette, künstliche Zusatzstoffe
  • Ballaststoffreiche Kost bevorzugen: Vollkornprodukte, Erbsen, Gemüse, Salat
  • Essen in Ruhe einnehmen: Mahlzeiten sollen ein Genuss sein und Freude bereiten
  • Keine fette Belohnung: Nach dem Sport sich mit dem Burger belohnen ist eine Bestrafung für den Körper
  • Sich gesund zu ernähren beginnt damit, sich darüber zu informieren: https://www.dge.de/ (Deutsche Gesellschaft für Ernährung)


1Prof. Christoph Kessler & Regina Rautenberg: Essen für den Kopf. Südwestverlag

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2-3. Erneuerung aus der Apotheke?

Bewegung ist der Schlüssel zu geistiger Gesundheit

Mit zunehmendem Alter nimmt Bewegung in der Regel ab – sie wird einseitiger, weniger koordinativ und oft monoton. Gleichzeitig zeigen sich bei vielen Menschen erste Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung. Diese werden jedoch häufig ignoriert oder als vermeintlich „normale“ Alterserscheinungen abgetan. Doch sie sollten ernst genommen werden, denn sie können ein Vorbote demenzbedingter Pflegebedürftigkeit sein.

Nun erwecken Medienberichte über neue Medikamente einen „Hoffnungsschimmer“. Vielen älteren Menschen wird dadurch suggeriert, dass es im Falle einer eigenen Betroffenheit endlich ein wirksames Mittel zur Heilung gibt. So ist es aber nicht, denn diese sogenannten Antikörpertherapien haben nur eine unterstützende Wirkung.

Arzneimittel: Hoffnung nur in Verbindung mit Bewegung

Wird die Antikörpertherapie gezielt mit komplexer, koordinativ anspruchsvoller Bewegung kombiniert, können messbare Fortschritte erzielt werden. Dieses System, das einerseits auf die Reduktion schädlicher Proteinablagerungen im Gehirn abzielt („Clearing der Amyloidplaques“), und andererseits auf vielfältige, den Geist fordernde Aktivitäten setzt, könnte den entscheidenden Durchbruch zu dauerhafter geistiger Gesundheit bringen. Für die Betroffenen selbst bedeutet das eine enorme Herausforderung, für die es viel Motivation braucht. Sie müssten dann nämlich etwas tun, das sie in den Jahren, bevor die Krankheit manifest wurde, versäumt haben: körperlich aktiv sein.

Die Grenzen der neuen Medikamente

Im Jahr 2025 gab die Europäische Arzneimittel-Agentur grünes Licht für die Wirkstoffe Lecanemab und Donanemab. Die Wirksamkeit der beiden Arzneimittel ist bislang sehr begrenzt. Zudem treten bei einem Großteil der Behandelten erhebliche Nebenwirkungen auf. Das wissenschaftliche Fazit fällt bislang nüchtern aus: Die Präparate werden allenfalls als erster Schritt auf einem langen Weg gesehen – hin zu einem möglichen Medikament, das eines Tages die zerstörerischen amyloiden Plaques im Gehirn tatsächlich nachträglich auflösen könnte.

Doch selbst wenn es gelingt, die Plaques aufzulösen, wäre dies erst der Anfang, um geistige Gesundheit wiederherzustellen. Alzheimer-Patienten können sich nämlich nur dann berechtigte Hoffnung auf eine Besserung machen, wenn sie zusätzlich bereit sind, sich regelmäßig zu bewegen.

Wenn Nervenzellen verklumpen, sterben ihre Verbindungen

Selbst wenn eines Tages ein Medikament existiert, das die Plaques ohne schwere Nebenwirkungen vollständig auflöst, wäre damit noch nichts gewonnen. Denn wenn Nervenzellen absterben, zerfallen auch ihre Dendriten, also die feinen Zellfortsätze, über die sie Signale empfangen und weiterleiten. Ihre Struktur wird zerstört und anschließend von Gliazellen abgebaut.

Ein Neuron besitzt 5 bis 15 Hauptdendriten, die sich in Hunderte bis Tausende feine Äste verzweigen. Diese Verbindungen gehen beim Absterben der Zelle verloren und müssen – selbst wenn die Nervenzelle wiederhergestellt ist – neu aufgebaut werden und Neurologen betonen, dass Bewegung dabei eine entscheidende Rolle spielt. Sie fördert die Dichte der Dendriten und die Synaptogenese – also die Bildung und Stärkung neuer Synapsen.

Besonders Aktivitäten wie Tanzen oder Mannschaftssport aktivieren mehrere Hirnregionen gleichzeitig. Dadurch entsteht eine verstärkte Vernetzung zwischen motorischen und kognitiven Arealen. Bewegung sollte also im Alter weder weniger noch einfacher werden – sie bleibt in jedem Lebensalter der Schlüssel zu geistiger Gesundheit, Lecanemab und Donanemab hin oder her.


Tabula rasa

Der menschliche Geist verfügt über keine angeborenen Kenntnisse; er gleicht zu Beginn des Lebens einer unbeschriebenen Tafel. Bis zu 90 % der Neuronen sind bei der Geburt nicht oder nur schwach vernetzt. Die Fähigkeit, Bewegungen zu koordinieren und geistige Leistungen zu erbringen, ist daher anfangs kaum vorhanden.

Doch Kinder besitzen einen natürlichen Bewegungsdrang – und indem sie ihm folgen, wachsen und gedeihen Dendriten und Synapsen. Mit der zunehmenden Vernetzung der Nervenzellen entfalten sich auch die kognitiven Fähigkeiten: Das „Beschreiben der Tafel“ beginnt.

Tabula rasa des Alters

Im Alter zeigt sich eine neue Variante dieser „unbeschriebenen Tafel“. Durch Medikamente, die zerstörte Nervenzellen wieder funktionsfähig machen, könnte ein Zustand entstehen, der an den kindlichen Neubeginn erinnert. Sind etwa 10 % der 80 Milliarden Neuronen durch amyloide Plaques zerstört, spricht man vom Anfangsstadium der Alzheimer-Krankheit. In diesem Stadium sind bereits koordinative und kognitive Fähigkeiten stark beeinträchtigt. Hier stellt sich die Frage: Was kann ein Gehirn leisten, in dem acht Milliarden zuvor zerstörter Neuronen durch Medikamente wieder gesund geworden sind?

Da mit der Zerstörung der Nervenzellen auch deren unzählige Dendriten und Synapsen verloren gingen, sind die Funktionen von Bewegung und Kognition zunächst nicht automatisch wiederhergestellt. Medikamente können die Zellen regenerieren, nicht aber ihre Verbindungen. Erst durch gezielte, regelmäßig ausgeübte Aktivitäten lassen sich die neuronalen Netzwerke neu aufbauen, wodurch auch geistige Fähigkeiten wiedergewonnen werden könnten.

Wie viele gesunde Nervenzellen braucht es, um geistig gesund zu bleiben?

Unweigerlich stellt sich die Frage: Braucht der Mensch tatsächlich alle 80 Milliarden Nervenzellen, um geistig gesund zu bleiben – oder reichen auch weniger? Neurologen geben eine überraschende Antwort: „Ja, grundsätzlich kann man mit etwa 90 % der ursprünglichen Nervenzellen geistig völlig gesund bleiben – vorausgesetzt, das Gehirn wird aktiv gefordert und trainiert.“

Sie nennen dafür drei zentrale Gründe:

1. Das Gehirn hat enorme Reserven. Es ist hochgradig redundant aufgebaut – mit weit mehr Nervenzellen und Synapsen, als für Alltagsfunktionen nötig sind. Selbst wenn 10 % oder mehr verloren gehen, kann das Gehirn Aufgaben umverteilen und kompensieren. Erst wenn kritische Netzwerke (z. B. im Hippocampus oder präfrontalen Kortex) stark geschädigt sind, treten deutliche Einbußen auf.

2. Plastizität: Das Gehirn kann sich anpassen. Bis ins hohe Alter bleibt das Gehirn neuroplastisch – es kann neue Verbindungen bilden, bestehende Netzwerke umorganisieren und in begrenztem Umfang sogar neue Nervenzellen erzeugen, vor allem im Hippocampus. Mentale und körperliche Aktivität fördern genau diese Mechanismen.

3. Koordinativ anspruchsvolle Aktivitäten sind besonders wirksam. Aktivitäten, die Bewegung, Denken, Feinmotorik und Aufmerksamkeit kombinieren, wirken wie ein Hochleistungstraining für das Gehirn. Beispiele sind Tanzen mit neuen Schrittfolgen, Musizieren, Gleichgewichts- oder Koordinationsübungen sowie das Erlernen neuer Sprachen oder Bewegungsabläufe. Diese fördern die Synapsenbildung, Durchblutung und Ausschüttung von Wachstumsfaktoren – und reduzieren Stress, der Nervenzellen schädigt.

Fazit: Ja – ein Mensch kann mit etwa 90 % seiner ursprünglichen Nervenzellen geistig völlig gesund und leistungsfähig bleiben. Entscheidend ist, dass das Gehirn regelmäßig gefordert wird, genügend Schlaf, Bewegung und eine ausgewogene Ernährung bekommt – und dass chronischer Stress möglichst vermieden wird. Denn die Qualität der Vernetzung ist wichtiger als die reine Zahl der Nervenzellen. Oder, wie Neurologen es ausdrücken: „Nicht wie viele Neuronen du hast, zählt – sondern wie gut sie miteinander sprechen.“

Ist die Suche nach der „Pille gegen Alzheimer“ zweifelhaft?

Wenn im Alter noch 90 % der Zähne gesund sind, kann man immer noch kräftig zubeißen. Ähnlich verhält es sich mit dem Gehirn: Selbst wenn von den rund achtzig Milliarden Nervenzellen „nur“ siebzig Milliarden intakt bleiben, ist geistige Fitness weiterhin gut möglich. Entscheidend ist nämlich nicht, wie viele Nervenzellen vorhanden sind, sondern wie gut sie vernetzt sind – also wie dicht die Dendriten und Synapsen im neuronalen Netzwerk gewoben sind und wie lebhaft die Kommunikation zwischen ihnen abläuft.

Aus dieser Perspektive erscheinen die riesigen Bemühungen, eine „Pille gegen Alzheimer“ zu finden, eher zweifelhaft. Denn letztlich könnte sich die Suche nach einem solchen Wundermittel als teurer Irrweg erweisen – wenn wir dabei vergessen, dass geistige Gesundheit vor allem durch ein bewegtes Leben möglich ist und nicht durch Chemie allein.


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2-2. Wie tickt das Gehirn

Koordination, Kognition und Erneuerung

Zumeist wird das Gehirn in Regionen, denen unterschiedliche Funktionen zugeordnet werden, eingeteilt. Für die Fragen nach geistiger Gesundheit im Alter und zur Vorbeugung von Alzheimer ist eine Einteilung in seine Arbeitsweisen hilfreich. Und Arbeitsweisen kennt das Gehirn genau drei: Koordination, Kognition (die Arbeitsweisen des Tages) und Erneuerung (die Arbeitsweise der Nacht).

1. Koordination: was ich körperlich zu leisten vermag

Die Arbeitsweise Koordination ist jene, für die das Gehirn aller Lebewesen entstanden ist. Sie ermöglicht ihm, die unzähligen Muskeln so zu koordinieren, dass sich der Körper in der gewünschten Weise bewegt. Dazu braucht es die Netze innerhalb des Gehirns selbst und die Verbindungen hinaus zu allen Muskeln. Koordination ist also ein Produkt des gesamten neuronalen Netzwerks. Und je nach Koordinations-vermögen ergibt sich, was man körperlich zu leisten vermag. (KogniFit research: Koordination)

Definition

Unter Bewegungskoordination verstehen die Bewegungs- und die Trainingswissenschaft den Prozess und das Ergebnis des Zusammenwirkens verschiedener Wahrnehmungs-, Steuerungs-, Regelungs- und Motorik-Elemente zu einem geordneten, zielgerichteten Bewegungsablauf. Koordinierte Bewegungen sind gleichzeitig oder in geordneter Folge auftretende Muskelaktionen. Im Unterschied zu den rein geistigen Fähigkeiten stellt die Bewegungskoordination eine Fertigkeit dar, die als sichtbares Resultat (Bild s.o.) aus den zugrundeliegenden Fähigkeiten erwachsen kann, aber nicht muss. (Zit. Wikipedia: Bewegungskoordination: https://de.wikipedia.org/wiki/Bewegungskoordination)


2. Kognition: was ich geistig zu leisten vermag

Die Arbeitsweise Kognition ist die zweite, in der Evolution viel später entstandene Funktion des Gehirns. Sie hat sich entwickelt, um den Bereich des Geistigen, also der kognitiven Fähigkeiten, auszuführen. Dafür bedarf es „nur“ des Austausches zwischen den verschiedenen Gehirnarealen. Das ganze findet also im Kopf statt und je nach dem, wie weiträumig, fein und stabil gesponnen die Verbindungen sind, ergibt sich in der Summe, was ich geistig zu leisten vermag.

Definition

Die Bezeichnung Kognition ist abgeleitet von lateinisch cognoscere (,erkennen‘ oder ‚erfahren‘) bzw. lateinisch cognitio (‚Erkennen‘) und über das Englische in die deutsche Sprache gelangt. Sehr allgemein kann man Kognition als geistige Aktivität oder Denken verstehen, wobei diese Denkprozesse nicht bewusst ablaufen und nicht rational sein müssen. Viele derzeit übliche Definitionen setzen Kognition mit Informationsverarbeitung gleich.“ (Wikipedia: Kognition: https://de.wikipedia.org/wiki/Kognition)


3. Erneuerung: wie das Gehirn sich funktionsfähig erhält

Während Koordination und Kognition die Arbeitsweisen des Tages sind, findet in der Nacht, völlig unbemerkt, Erneuerung statt. Sie ist für das Gehirn von existenzieller Bedeutung. All das, was vom Gehirn an koordinativ fordernden Aktivitäten tagsüber regelmäßig abverlangt wird, wird so verarbeitet, dass die Netze den zukünftigen körperlichen Anforderungen gerecht werden können.

Näheres zur Arbeitsweise „Erneuerung“ wird im Beitrag „Was ist Neuroplastizität“ dargestellt. Zunächst werden nur Koordination und Kognition gegenüber gestellt.

Besondere Bedeutung

Die Unterscheidung der Funktionen Koordination und Kognition ist zur Lösung der Frage nach einer wirksamen Vorbeugung von Alzheimer von besonderer Bedeutung. Mit ihr wird deutlich, geistige Gesundheit im Alter beginnt bei der Bewegung. Nur die Koordination der Bewegung durch das Gehirn schafft und erneuert Tag für Tag die neuronalen Verbindungsnetze und liefert so die Basis für die Kognition, die diese Netze nutzt und stabilisiert, aber keine neuen Verbindungen schaffen und keine geschädigten erneuern kann.


Wagen wir die Feststellung: Der Mensch besitzt einen Reparaturbetrieb für das Gehirn! Mehr noch, das Gehirn ist ein Reparaturbetrieb, vergleichbar mit einem Auto, das sich nach jeder Fahrt, wenn nötig, selbst wartet, innen und außen reinigt und jeden Morgen wieder wie neu in der Garage steht.


Täglich, besonders im Alter, werden Hirnzellen, Synapsen und Verbindungen zerstört. Aber egal. Der Abbau findet ganz langsam statt, jeden Tag gehen immer nur ganz punktuell einzelne Nervenzellen kaputt. Aber das Gehirn hat viele Milliarden davon und im Laufe des Lebens wird nur ein Teil genutzt. Was ungenutzt ist, steht zur Bildung neuer Verbindungen zur Verfügung.

Keine Krankheit

Entscheidend ist, Alzheimer sollte, nicht als Krankheit, sondern als das Ergebnis des langen und kontinuierlichen Abbauprozesses des Körpers gedacht werden. Einer neigt mehr dazu, ein anderer weniger, ganz aufhalten kann diesen Prozess aber niemand. Der Abbauprozess, und das ist bei der Demenz so heimtückisch, erfolgt schleichend über viele Jahre.

Aber, und das ist die gute Nachricht, die Folgen der gestern zerstörten Nervenzellen kann das Gehirn, wenn es die entsprechenden Impulse bekommt, wieder beheben. Es kann für jede zerstörte Verbindung einen “Minibypass” in den bisher ungenutzten Nachbarregionen bauen und so den neuronalen Schaltkreis für die Koordination der Bewegung und die kognitiven geistigen Aktivitäten intakt erhalten.

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2-1. Was schädigt das Gehirn

Die Folgen des sorglosen Lebens

Alkohol, Stress, Nikotin und ungesundes Essen schaden erst einmal dem Gehirn gar nicht. Aber sie wirken indirekt. Sie verursachen unterschiedlichste gesundheitliche Probleme im Blut, in den Organen oder beim Stoffwechsel. Diese führen dann, wenn sie chronisch werden, zu den Schädigungen in den neuronalen Netzen des Gehirns.

Von der Lancet Commission, der weltweit anerkannten Institution zu den Fragen um Demenzvermeidung wurden im Juli 2024 vierzehn Gründe für die Ursache der Alters-Demenz (Alzheimer) genannt:


Im Einzelnen und was man dagegen tun kann:

Bluthochdruck etwa gilt als Risikofaktor für Demenz, weshalb man die Werte regelmäßig kontrollieren und einstellen lassen sollte.

Gleiches gilt für Cholesterin. Zu hohe Werte sind unbedingt zu vermeiden und können durch Bewegung und/oder Medikamente gesenkt werden.

Übergewicht schädigt und besonders gilt es, das sogenannte Adipositas (Fettleibigkeit) zu verhindern.

Die Blutzuckerwerte sind unbedingt zu beachten. Man sollte sie regelmäßig kontrollieren und Diabeteserkrankungen nach Möglichkeit verhindern.

Durch Herzrhythmusstörungen wird das Gehirn nicht mit ausreichend Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Sie gelten deshalb als Demenz-Risikofaktor.

Gegen Entzündungen, wie die Gürtelrose, kann man sich impfen lassen. Ansonsten können systemische Entzündungen im Körper entstehen. Sie gelten ebenso als Risikofaktor für Demenz.

Gegen Bewegungsarmut hilft Sport treiben. Erregt die Nervenzellen an und schützt sie vor Beschädigungen.

Chronischer Schlafmangel ist gefährlich. Nur im Schlaf werden die für Demenz verantwortlichen Eiweißablagerungen im Gehirn abtransportiert.

Mangelnde Bildung: natürlich kann Versäumtes in der Kindheit nicht nachgeholt werden, aber Bildung ist eine Lebensaufgabe.

Nikotin und Alkohol: Wer mit dem Rauchen aufhört und den Alkoholkonsum auf ein verträgliches Maß einschränkt, kann damit schon viel erreichen.


Einsamkeit ist ein großes Problem im Alter und gilt als Demenzbeschleuniger. Unbedingt gilt es, mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben und seine Beziehungen zu pflegen.

Um Einsamkeit zu verhindern, sollten auch so einfache Dinge, wie seine Brille und das Hörgerät einstellen zu lassen, nicht vernachlässigt werden. Nur so kann man vernünftig am sozialen Leben teilnehmen.


Depression und traumatische Hirnverletzungen: Professionelle Hilfe suchen: Der erste Schritt ist oft, einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen. Psychotherapie und Medikamente (Antidepressiva) sind bewährte Behandlungsmethoden


https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)01546-0/fulltext


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2. Gehirn: Ein Wunderwerk, das sich selbst erneuern kann


Inhalt 2. Abschnitt

In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie durch ein sorglos geführtes Leben das Gehirn geschädigt und wie durch zielgerichtete Bewegung einzelne Bereiche wieder erneuert werden können. Im Besonderen wird erläutert, was „Neuroplastizität“ ist und wie sie ihre heilsame Wirkung zum Erhalt geistiger Gesundheit entfalten kann.


1. Was schädigt das Gehirn?

Die Folgen des sorglosen Lebens.

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2. Die drei Arbeitsweisen des Gehirns

Koordination, Kognition, Erneuerung

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3. Erneuerung aus der Apotheke?

Mit Medikamenten ist Alzheimer bis heute nicht beizukommen

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4. Erneuerung durch gesund essen?

Auch noch so gesunde Ernährung kann die gestörten Schaltkreise im Kopf nicht “reparieren”.

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5. Die Kategorien der körperlichen Bewegung

Die Einteilung der Bewegung nach ihrer Wirkung in den neuronalen Netzen

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6. Der Schlaganfall


Zerstörtes kann durch zielgerichtete Bewegung ersetzt werden

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7. Was ist Neuroplastizität?

Die Fähigkeit des Gehirns, sich ein Leben lang anzupassen

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8. Dem Gehirn durch Regelmäßigkeit eine Richtung vorgeben

Jeden Tag baut das Gehirn ziellos Verbindungen ab und jeden Tag schafft es wieder neue

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9. Wann ist Bewegung koordinativ anspruchsvoll

Heilsame Anstrengung für jedes Alter

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10. Das Hirn gibt niemals auf

Unser Gehirn hat sehr viel Geduld mit unserem liederlichen Lebenswandel.

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11. Der Körper, ein pharmazeutischer Betrieb?

Das Frühstück verwandelt er morgens in Energie und die verwandelt er tagsüber in ein Schlafmittel

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12. Geistige Fitness nur durch Bewegung?

Einwände und Gegenbeispiele

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1-9. Morbus Parkinson

Intakte Kognition – gestörte Koordination


Die Substantia nigra ist eine sehr kleine Region im Gehirn, hat aber große Bedeutung für die Koordination der Bewegung. Sie ist etwa so groß wie ein Schusser und heißt „Schwarze Substanz“, weil sie im Gehirn sehr leicht durch ihre dunkle Einfärbung (Neuromelanin) erkennbar ist. Von großer Bedeutung ist sie, weil sie nach Bedarf Bewegung anstößt, erhält oder beendet. Bei der Parkinsonerkrankung sterben in der Substantia nigra die Neuronen ab und die Folge sind der zunehmende Verlust der Kontrolle über willkürliche Bewegungen.


Gestörte Bewegung

Morbus Parkinson ist im klassischen Sinne eine Form der Demenz, aber eigentlich doch keine, weil die geistige Leistungsfähigkeit erhalten bleibt. Ganz im Gegensatz zur Fähigkeit, die ansonsten so selbstverständlich ablaufenden Bewegungen zu kontrollieren. Die Ursachen für die Krankheit sind, wie bei der Demenz, abgestorbene Neuronen und deshalb nicht mehr funktionierende Schaltverbindungen in der schwarzen Substanz.

(Parkinson: Apotheken Umschau)


Gestört werden die neuronalen Netze durch die sogenannten Lewy-Körperchen, eine besondere Form von Eiweißverklebungen (hier das Eiweiß Synuclein) , die speziell dort das Gehirn schädigen. Nur wenige abgestorbene Neuronen in der Substantia nigra (im Verhältnis zu den 100 Mrd. des Gesamtgehirns) sind es, aber in der Folge dieser Schädigungen wird der Botenstoff Dopamin nicht mehr ausreichend produziert, und es können die Signalübertragungen im Gehirn zur Kontrolle der weichen Bewegungsabläufe nicht mehr störungsfrei ablaufen.

Das führt dann zu den typischen Symptomen: Zittern (Tremor), verlangsamte Bewegungen (Hypokinese), Muskelsteifigkeit (Rigor) und eine gestörte Haltungsstabilität. Interessanterweise gibt es oft schon Jahre vorher Hinweise für die Erkrankung, die in Summe ernst genommen und zur Vorstellung beim Neurologen führen sollten. Wenn es zu nicht erklärbaren Einschränkungen des Geruchs, vermehrter Neigung zur Verstopfung und Zunahme unruhiger Träume in der Nacht kommt, können das bereits Jahre vor dem Auftreten motorischer Symptome erste Hinweise für eine Parkinsonerkrankung sein.

Will man Parkinson in Schach halten, braucht es daher neben der medikamentösen Ergänzung des Botenstoffes Dopamin äußere Gegebenheiten, die dem Gehirn für einen gewünschten Bewegungsablauf in rascher Abfolge gezielte Bewegungskorrekturen abverlangen. Drei erfolgreiche Ansätze dafür sind ein wackliger Untergrund (Balance) ein kleiner schneller Ball (Tischtennis) und Musik mit einem schnellen Rhythmus (Tanzen). Parkinson therapieren ist also keine Einzeldisziplin sondern eher ein „Dreikampf“:


1. Der Tanz:
Gesunder Spaß für schnelle Beine

Freude an der Bewegung haben und gleichzeitig die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern, ist das Ziel. Dafür ist Tanz eine geeignete Form. Die Musik wirkt positiv auf die Stimmung und gibt den Takt für die Bewegung vor. So wird der ganze Körper beansprucht und die Wirkung im Gehirn macht der Rhythmus. Er zwingt es, für die einzelnen Bewegungsschritte in schneller Abfolge Tremor, Hypokinese und Rigor zu unterdrücken.

Um positive Effekte zu erreichen, braucht es allerdings Regelmäßigkeit und Wiederholung. Zu empfehlen ist pro Woche ein Tanztraining von mindestens einer Stunde. So bekommt das Gehirn die nötigen Impulse, um sich speziell in der Substantia nigra zu erneuern: Neuroplastizität gegen das Zittern.


2. Balancieren bei jeder Gelegenheit

Jeder der unter Parkinson leidet, sollte regelmäßig balancieren. Jeder Baumstamm am Wegrand bietet sich an oder ein Balken daheim, wenn man einen Garten hat. Zuerst geht es natürlich noch nicht ohne Probleme. Regelmäßiges üben, möglichst nur ein paar Minuten, dafür aber täglich, sind nötig. Die Wirkung im Gehirn ist wie die beim Tanzen. Um nicht zu fallen müssen die Ausgleichsbewegungen sehr schnell erfolgen und das geht nur, wenn sie vom Gehirn automatisch blitzschnell gestartet und gestoppt werden.

Damit wird jener heilsame Stress ausgelöst, der das Hirn zwingt, die Bewegungen in Sekundenbruchteilen zu starten und zu stoppen. So werden mit der Zeit die neuronalen Lücken in der schwarzen Substanz repariert und mit viel Fleiß erhält man auch die gewünschte Bewegungskontrolle für den Alltag zurück.


3. Tischtennis
Ein sportliches Gemeinschaftserlebnis

Die Idee, Tischtennis zu spielen, um Parkinson in den Griff zu bekommen, stammt aus Amerika. Dort wurde es als eine Form der Therapie nachweislich erfolgreich eingesetzt. Im Jahr 2017 gelangte die Idee nach Deutschland. So etwa in Dachau, wo sich eine Selbsthilfegruppe gründete, die beim Sportverein TSV 1865 Dachau angebunden ist. Ihre erfolgreiche Arbeit mit Tipps für Betroffene findet man im Netz:

( parkinsontreff-karlsfeld.jimdofree.com )

Ziel der Organisation ist das sportliche Gemeinschaftserlebnisse und Parkinson-Erkrankte aus der Selbstisolation zu holen. So steht das Gruppenerlebnis, der Spaß und nicht zuletzt die Stärkung des Selbstwertgefühls gleichberechtigt neben dem mittlerweile durch Studien bestätigten Therapieerfolg. Schließlich würden in den regelmäßigen Trainingsstunden „Ausdauer, gute Beinarbeit, schnelle Reaktionen und viel Balance“ gefordert. Und für das Gehirn ist Tischtennis spielen deshalb so bedeutend, weil der schnelle Ballwechsel ihm schnell Bewegungskorrekturen abverlangt. Nach jeder Stunde Training werden die Netze in der schwarzen Substanz ausgebessert oder ganz neue Verbindungen geschaffen.

Es gibt begründete Hoffnung!

Parkinson gilt bis heute als unheilbare Krankheit. Hoffnung, die Krankheit wenigstens in den Griff zu bekommen, gibt es aber mittlerweile und es ist wie bei der klassischen Demenz gezielte Bewegung. Für Betroffene mindestens ebenso wichtig sind die Selbsthilfegruppen, die sich mittlerweile lokal, regional und auch bundesweit etabliert haben. Die gesammelten Erfahrungen von Parkinson-Betroffenen, wie man etwa den Krankheitsverlauf zugunsten des Erhalts von Lebensqualität beeinflussen kann, haben mittlerweile auch ihren Weg in die Forschung und den klinischen Alltag gefunden.

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