Gleichgewicht, Orientierung, Reaktion, Rhythmus
Mit kräftigen Muskeln, gedehnten Bändern, einem gesunden Knochengerüst und einem belastbarer Kreislauf haben wir die Basis für die Bewegung geschaffen. Um aber nicht „ungelenk“ zu sein und erfolgreich Sport treiben zu können, bedarf es noch der geistigen Grundlagen für die Koordination der Bewegung. Nur wenn alles zusammen spielt, sind sportliche Aktivitäten möglich, die auch Freude bereiten. In der Sporttheorie ist die Koordination definiert als das „Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Muskulatur innerhalb eines gezielten Bewegungsablaufs“. Man könnte es auch das „Hirn-Muskelsystem“ nennen, das eben so trainiert werden muss wie das „Herz-Kreislaufsystem“.
Kinder erlernen die Koordinationsleistungen spielerisch. Das Problem im Alter ist, wenn sie nicht trainiert werden, gehen sie verloren. Im Detail bewirkt sie im Hirn, dass die Befehle an die Muskeln zeitlich richtig aufeinander folgen und die beteiligten Muskeln von der Anzahl und in der Stärke dosiert abgestimmt aktiviert werden. Klingt kompliziert, ist kompliziert und deshalb gibt es nicht die eine Koordination. Sportfachleute nennen acht koordinative Fähigkeiten. Und weil sie für den Sport und die Bewegung so wichtig sind, seien sie einzeln und im Detail vorgestellt.

Gleichgewichtsfähigkeit
Wenn die Gleichgewichtsfähigkeit verloren geht, drohen die im Alter so gefährlichen Stürze. Nach der Definition gibt es die statische und die dynamische Gleichgewichtsfähigkeit. Die statische bezieht sich auf den Gleichgewichtserhalt in relativer Ruhestellung, die dynamische dagegen auf den Gleichgewichtserhalt im Verlauf komplexer Bewegungsabläufen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichgewichtsf%C3%A4higkeit
Es gibt also nicht die Gleichgewichtsfähigkeit, es gibt derer mehr als ein Dutzend: für jede Muskelgruppe gibt es die statische und die dynamische Gleichgewichtsfähigkeit und es gilt, sie alle zu trainieren.
Im Kindesalter muss für jede Bewegungsart (Gehen, Radfahren, Balancieren) die Gleichgewichtsfähigkeit neu erworben werden. Im Alter sollte jede Gelegenheit genutzt werden, die Balance auf stabilem und wackligem Untergrund zu trainieren. Mit Übung (Körperspannung und Balance) bleibt im Alter die Gleichgewichtsfähigkeit erhalten und mit viel üben kann der Geist dazu gebracht werden, den Körper selbst auf der Slackline in der Balance zu halten.

Differenzierungsfähigkeit
Sie ist die Voraussetzung für die Feinabstimmung einer Bewegung. Bewegungspräzision ist das Stichwort. Zum Beispiel das Zusammenspiel zwischen Auge und Hand, wenn man den Faden in eine Nadel führt. Es läuft ein dauernder Austausch von Informationen über die augenblickliche Position der Hand und die notwendige Stellungskorrektur bis es klappt.
Muskulatur ohne Feinabstimmung ist „eine dumme Kraft“. Tennis als Sportart erfordert diese Feinabstimmung besonders: Kleiner Ball, kleiner Schläger und dazu noch ein relativ kleines Feld sowie hohe Ballgeschwindigkeiten. Das erfordert ein erhebliches Maß an Bewegungspräzision im Bezug auf die Bewegungsgeschwindigkeit und die Bewegungsrichtung. Beinahe jede Sportart trainiert die Differenzierungsfähigkeit.

Die Orientierungsfähigkeit
Der Klassiker bei der Demenz ist der Verlust der Orientierungsfähigkeit. Schon viele Jahre, bevor man nicht mehr vom Bäcker heim findet, beginnt diese Fähigkeit verlorenzugehen. Nach der Definition ist die Orientierungsfähigkeit die Fertigkeit zur Bestimmung der momentanen Lage und wie sich diese durch irgendeine Bewegung des Körpers verändert.
Dabei ist die aktive Wahrnehmung der räumlichen Bedingungen der Handlung von besonderer Bedeutung: Wo bin ich, wo will ich hin und wie mache ich das. Hört sich leicht an, aber beim Klettern ist diese Fähigkeit dann schon ziemlich gefragt. Im Alltag braucht’s die Orientierungsfähigkeit besonders im Straßenverkehr und beim Einkaufen und natürlich in unbekanntem Gelände.

Die Rhythmisierungsfähigkeit
Wenn im Alter die Rhythmisierungsfähigkeit verloren geht, dann werden Bewegungen unsicher und zögerlich. Jede Bewegung hat ihren eigenen Rhythmus und sollte im Alter unbedingt erhalten bleiben. Die Bewegungsqualität, so die Definition, wächst mit dem Erfassen und Umsetzen des Rhythmus einer Bewegung. In allen Sportarten hat die Rhythmusfähigkeit einen wichtigen Anteil daran, wie gut man im Sport wird. Dribbeln können will beim Fußball jedes Kind und beim Langlauf ist es schön zu sehen, wenn die Rhythmisierung klapp.

Umstellungsfähigkeit
Die Umstellungsfähigkeit ist beim Stabhochsprung schön zu erkennen. Um die im Anlauf gewonnene Energie in die Biegung des Stabes zu übertragen muss der Springer in vollem Lauf den Stab in den Kasten treffen und die Füße nach vorne und dann nach oben bringen. Die Energie wird dann vom gebogenen Stab wieder in den Körper zurück übertragen, um ihn mit den Füßen voraus in einer Spiraldrehung nach oben zu katapultieren.
Oben, wenn sich die Flieh- und Schwerkraft die Waage halten, wird von Grob- auf Feinmotorik umgestellt. In Sekundenbruchteilen muss der Springer sich vom Rücken auf den Bauch drehen, den Körper so über die Latte zaubern, dass sie von ihm nicht gerissen wird und gleichzeitig wird dem Stab ein kleiner Schubs nach hinten gegeben. Sodann geht’s wie bei einer Katze nach unten um sich dort nicht das Genick zu brechen.

Die Antizipierungsfähigkeit.
Der „Abstauber“ beim Fußball ist derjenige, der früher als Gegner ahnt, wo er den Ball gleich vor die Füße bekommt. Antizipieren ist also die Fähigkeit, künftige Situationen zu erahnen, um sich rechtzeitig darauf einstellen zu können. Bei allen Ballsportarten, wie beim Tennis, berechnet das Hirn automatisch anhand der Flugbahn und Geschwindigkeit exakt die Stelle, wohin der Ball fliegen wird. Auch in vielen Situationen des Alltags ist die Fähigkeit gedanklich vorweg zu berechnen wichtig. Im Straßenverkehr gar überlebenswichtig, wenn man überholen will oder bei dichtem Verkehr die Straße überquert.
Im Alter kann man es sich deshalb nicht leisten, die Antizipationsfähigkeit zu vernachlässigen. Übungen gibt es genug. Praktisch jede Ballsportart fördert diese Fähigkeit. Federball spielen empfiehlt sich, Übungen mit dem Luftballon sind etwas leichter und Seilspringen trainiert zusätzlich die Ausdauer.

Kopplungsfähigkeit
Die Kopplungsfähigkeit ist die Königin unter den Koordinierungsfähigkeiten. Sie muss zwei, drei oder im Extremfall alle Koordinierungsfähigkeiten an einem Zügel zusammen spannen. Wie kann man sich das vorstellen, was geschieht im Hirn, wenn sie gebraucht wird?
Eigentlich koordiniert sie selbst gar keine Bewegung und ist ein Sonderfall unter den Koordinierungsfähigkeiten. Sie muss „nur“ Netze verbinden. Jede Koordinierungsfähigkeit wird im Hirn auf einem anderen Netz abgewickelt. Sobald eine Bewegung zwei Koordinierungsfähigkeiten erfordert, müssen diese Netze neuronal verbunden, also gekoppelt werden.
Die acht Koordinationsfähigkeiten und wie man sie übt im Überblick: https://www.fitnessagony.de/koordination
Die koordinativen Fähigkeiten sind nicht angeboren und können verloren gehen.
Sie müssen erlernt, weiterentwickelt und immer wieder praktisch ausgeführt werden. Im Kindesalter, natürlich, ist die Lernfähigkeit im Bereich der koordinativen Fähigkeiten besonders groß.
Im fortgeschrittenen Alter dagegen, wenn der Alltag schon keine koordinativen Herausforderungen bringt, müssen sie gezielt trainiert werden. Ansonsten gehen sie verloren und mit ihnen die Balance, die Orientierung, die Reaktion, der Rhythmus oder die Sicherheit beim Überqueren der Straße. 1
Leider kann man vielen älteren Menschen ihre schwindende Koordinationsfähigkeit an den vorsichtigen und zögerlichen Bewegungen ansehen. Wenigstens einen Teil des Bewegungsdrangs der Kinder sollte man sich deshalb im Alter bewahren.
1 Literatur: Schaller/Wernz: Koordinationstraining für Senioren (Meyer & Meyer Verlag). Im Buch sind viele Übungsbeispiele dargestellt und welche Bedeutung Koordinationstraining für den Alltag hat.