4-4. Aristoteles: De-anima


Für Aristoteles gehörte es „zum Schwierigsten“, zuverlässiges Wissen über die Seele zu erlangen, doch es wäre ein sehr lohnendes Ziel. Der Mensch sollte wissen, ob die Seele ein Einzelding ist, ob sie also eine Ausdehnung hat, oder “nur” eine Eigenschaft ist. Und vor allen Dingen, ob sie eigenständig existieren und ewig leben kann. Für Aristoteles war Platons Trennung von Leib und Seele eine Herausforderung zum Widerspruch und so verfasste er “De-anima” (Über die Seele).

Definition der Seele bei Aristoteles

Im Buch De-anima erläutert Aristoteles seine eigene Theorie über die Seele. Er definiert sie als “eine im Organismus liegende Kraft, die seine Entwicklung und Vollendung bewirkt”. Mit der Aussage, dass der Körper potenziell Leben hat, ist gemeint, dass er zum Belebtsein geeignet ist und die Seele kann diese Belebung verwirklichen. Die Seele ist für ihn also kein eigenständiges Wesen, das unabhängig vom Körper existiert, sondern dessen “Form” und daher vom Körper nicht trennbar.

“Form” im Sinne von Aristoteles bedeutet, dass sie dem einzelnen Menschen sowohl seine körperliche Gestalt als auch sein individuelles geistiges Vermögen verleiht. Sie verhält sich zu ihm wie das Augenlicht zum Auge oder die Kerze zum Wachs. Das eine ist demnach vom anderen nicht zu trennen und damit widerspricht der Schüler Platons der Auffassung seines Lehrers fundamental.

https://de.wikipedia.org/wiki/De_anima

Das Seelenvermögen von Pflanze, Tier und Mensch


Aristoteles unterscheidet verschiedene Seelenvermögen. Die Seele ist erst einmal das Lebensprinzip aller Lebewesen – Pflanzen, Tiere, Menschen. Unterschiedliche Lebewesen besitzen unterschiedliche Seelenvermögen und danach klassifiziert er die Lebewesen:

Pflanzen besitzen das vegetative Seelenvermögen, das für das  Wachstum und den Stoffwechsel verantwortlich ist. Alle Tiere verfügen darüber hinaus über das sensitive Vermögen, die Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung, wenn auch manche nur den Tastsinn besitzen, den einzigen Sinn, den jedes Tier hat. Bereits aus dem Tastsinn ergibt sich die Unterscheidung von Angenehmem und Unangenehmem und damit das Begehren, also ein Gefühlsleben.

Allein die Seele des Menschen besitzt über das vegetative und sensitive Vermögen hinaus intellektuelles Vermögen, also die Fähigkeit zur Vernunft. Diese hat sich somit erst in der letzten von drei Phasen der seelischen Entwicklung, der menschlichen Phase, entfaltet. Die erste nennt Aristoteles also die vegetative (wachsende), die zweite die animalische (durchsetzungsfähige) Phase und die dritte Phase die der menschlichen Vernunft.

Ist die Vernunft des Menschen unsterblich?


Damit die Vernunft Erkenntnisse gewinnen kann, ist das Vorstellungsvermögen (phantasía) von Nöten. Dieses Vorstellungsvermögen definiert Aristoteles als eine Bewegung, die durch den Vollzug einer Sinneswahrnehmung erzeugt wird. Zu diesem Vorstellungsvermögen kommt das „Strebevermögen“, Erkenntnisse auch gewinnen zu wollen, hinzu. Damit im Menschen die Vernunft wirklich und nicht nur möglich ist, bedarf es eines aktiven und eines passiven Prinzips. Die aktive (oder tätige, wirkende) Vernunft ist in der Lage, zu abstrahieren, Schlüsse zu ziehen und Meinungen zu bilden. Die passive Vernunft wird biologisch vererbt, die aktive dagegen kommt „von außen“ in den Menschen hinein und ist damit unvergänglich, wie Aristoteles meint.

Unsterblichkeit der Seele durch die Hintertür?

Dass Aristoteles die „aktive Vernunft“ als von außen hinzukommend und unvergänglich bezeichnet, überrascht und scheint Platons Dualismus und seiner göttlichen Seele sehr nahe zu kommen.

Im Unterschied zu Platon und beispielsweise zur christlichen Seelenlehre proklamiert Aristoteles aber keine Unsterblichkeit der einzelnen Personen bzw. Individuen. Für Aristoteles bleibt es also dabei: auch wenn er die Vernunft des Menschen als eine universelle unvergängliche Eigenschaft definiert, gehen die individuelle Vernunft und die Seele zuletzt mit dem Tod des Körpers unter.

Wenn Platon also die Menschen mit einer unsterblichen Seele ausstattet, die bei der Geburt von außen hinzugefügt wird, dann entgegnet Aristoteles, dass der menschliche Körper bei der Geburt nur das Potenzial zu vernunftgesteuerten Erkenntnissen mitgeliefert bekommt. Daher vollzieht sich das Denken, so Aristoteles, nur durch Vorstellungen, die aus der Sinneswahrnehmung abgeleitet sind und nicht durch eine Seele, die in ihrem früheren Dasein die Welt der Ideen geschaut habe.

Tabula Rasa

Diese Aussage von Aristoteles, wonach der menschliche Geist über keine angeborenen Kenntnisse verfügt, sondern zu Beginn des Lebens einer unbeschriebenen Tafel gleicht, negiert Platons Thesen über die Seele als Ursprung unserer Erkenntnisse. Dass der menschliche Intellekt, so Aristoteles, von der Seele Wahrheiten erlangen kann, hält er für unhaltbar. Der Intellekt ist seiner Ansicht nach bei der Geburt ein „Tabula rasa“ und er erlangt Wissen nur durch „Anschauung“ aus den Sinnen, keinesfalls jedoch von der Seele.


Weichenstellung für die Zukunft des Menschen


Eigentlich, so könnte man sagen, haben Platon und sein Schüler Aristoteles die gegensätzlichen Positionen zum Thema Leib und Seele vollständig ausgearbeitet und „nur“ zur Diskussion gestellt. In der Folge wurde aber klar, dass beide Positionen auch das Zeug hatten, die Welt zu verändern. Es dauerte drei Jahrhunderte, als die Kirche den Dualismus Platons und die Unsterblich der Seele als Grundlage ihres Glaubens wählte, und damit das Leben der Menschen vollständig verändert.

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